
Urban Fink-Wagner | Chefredaktor-Stellvertreter
Editorial
Warten
Ich warte nicht gerne. Wahrscheinlich geht es auch Ihnen so. «Nicht warten können» ist eine generelle Zeiterscheinung, die besonders im letzten Quartal des Jahres tüchtig ausgelebt wird. Die Warenhäuser sind schon lange auf Weihnachten getrimmt, Weihnachtsmärkte finden Mitte November statt, viele Wochen vor dem eigentlichen Fest. Kaum ist der erste Weihnachtstag vorbei, werden die viel zu früh aufgestellten Weihnachtsbäume liquidiert, obwohl die Weihnachtszeit bis zum Dreikönigsfest dauert.
Ein Fest aber will vorbereitet und auch richtig gefeiert sein. Das Warten gibt uns Zeit zum Nachdenken, ruft uns in seiner scheinbaren Leere zur Konzentration auf und steigert die Vorfreude. Da macht auch das früher selbstverständliche Fasten, zumindest der Verzicht auf üppiges Essen, im Advent Sinn, damit das Weihnachtsfest umso intensiver mit allen Sinnen begangen werden kann.
Die Energieknappheit sorgt in diesem Advent dafür, dass weniger Licht und Glanz die Vorweihnachtszeit erhellen, sondern das Dunkle im Advent mehr zu spüren ist – ein Fingerzeig in unserer Welt mit einem Krieg in Europa, mit Hunger und Gewalt, mit Missachtung von Menschenrechten und einem grossen Kampf um Ressourcen. Das alles tönt nicht weihnächtlich.
Aber nicht nur die Welt steht im Umbruch, sondern auch die Kirche, wo frühere Selbstverständlichkeiten wegfallen, Veränderungen anstehen und die vielfältige Missbrauchsproblematik die Kirche als Institution in die Knie zwingt. Das erfordert den Mut zu Aufbrüchen, den Mut, Gewohntes kritisch zu überdenken, aber auch den Mut, Grundlegendes nicht leichtfertig über Bord zu werfen. Da die Konturen zukünftigen Christ- und Kirche-Seins noch in vielen Punkten unklar sind, ist auch das mit Warten verbunden. Dieses Warten schenkt Zeit für die Unterscheidung der Geister, für den Prozess der vom Glauben getragenen richtigen Entscheidungsfindung.
Warten braucht Mut! Aber das hoffnungsvolle Warten hilft uns, sich in den dunklen Tagen auf das lichtvolle Kommen des kleinen göttlichen Kindes vorzubereiten.
Urban Fink-Wagner