Editorial

Schlamassel

Die katholische Kirche in der Schweiz steckt in einem Schlamassel. Sie tut das im wortwörtlichen Sinn dieses aus dem Jiddischen stammenden Begriffs, mit dem eine ausweglos scheinende Situation bezeichnet wird. Nicht, dass die Situation vorher rosig gewesen wäre, aber in den vergangenen Tagen wurden uns neue Abgründe in unserer Kirche aufgezeigt. Der Skandal sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung wirken wie ein Erdbeben, das in einer sonst schon baufälligen Stadt wütet. Gabi Corvi, Präsidentin des Verbands der katholischen Kirchgemeinden des Dekanats Uznach, spricht in einem Zeitungsinterview von einer Talsohle, die nun erreicht sei. Es scheint, dass die Kirche nicht noch tiefer fallen kann; sie hat Autorität und Glaubwürdigkeit verloren – aus eigenem Verschulden. Doch Gabi Corvi sieht auch positive Ansätze im Sinne des Evangeliums: «Ich glaube noch daran, aber nur, wenn Jesus Christus und sein Evangelium als frohe Botschaft in Zukunft wieder im Mittelpunkt stehen.» Das bedeutet, dass eine fundamentale Umkehr erfolgen muss, ansonsten verkommt die katholische Kirche in der Schweiz zusehends zu einer negativ-auffälligen, religiösen Sondergruppe. 

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiss nicht, wie es Ihnen in den letzten zwei Wochen ergangen ist, doch mir bereitet es Mühe, mir vorzustellen, wie diese Umkehr gelingen soll. «Kehrt um und glaubt an das Evangelium!», lesen wir im ersten Kapitel des Markusevangeliums. Umkehr ist in diesem Zusammenhang kein billiges Wohlfühlwort; Umkehr ist eine anforderungsvolle Angelegenheit, sie verlangt unermüdlichen Einsatz. Umkehr bedingt, dass die Nöte und Bedürfnisse der Betroffenen im Blickfeld stehen, das erlittene Leid muss zum Ausgangspunkt für eine schonungslose Analyse der Realität und der Strukturen werden, in denen Missbrauch überhaupt erst möglich wurde. Die Perspektive ist dabei eindeutig: Die Kirche der Armen, der Ausgebeuteten, der Ausgenutzten; eine Ausrichtung, die Papst Franziskus immer wieder ins Zentrum stellt und von uns einfordert. Wenn die Kirche nicht für die Menschen da ist, werden wir in unserer Gesellschaft immer weniger wahrgenommen. Dann droht die Gefahr, die in der Weltgeschichte einige gut dokumentierte Beispiele kennt: Eine einst glühende Bewegung, eine blühende Kultur wird unvermeidlich zur kalten Asche. 

 

Mit besten Grüssen

Reto Stampfli