Schwerpunkt

Humor und Fasnachtsfreude in freudloser Zeit

Urban Fink wuchs in Welschenrohr auf, wo die Fasnacht zur Zeit der Uhrenindustrie eine grosse Rolle spielte. Er war über Jahrzehnte Aktivmitglied in der Mamfi Guggemusig ­Soledurn und bleibt der Fasnacht weiterhin freudig verbunden.

von Urban Fink-Wagner

Darf man in heutigen unfriedlichen Zeiten Humor und Freude zelebrieren? Ist das nicht eine ­oberflächliche Verkennung der Realität, der man sich zu stellen hat? Und was soll es überhaupt mit der fünften Jahreszeit, die doch nur Tür und Tor für Eskapaden und Exzess öffnet? Muss da die ­Kirche nicht einfach Nein sagen? Eine hoffentlich nicht ganz humorlose Spurensuche. 

Eine ernstgemeinte Warnung, bevor Sie diesen Artikel lesen: Sowohl der Chefredaktor des «Kirchenblatts» wie auch sein Stellvertreter sowie die Layouterin sind bekennende Solothurner Fasnächtler. Falls Sie also eine Verurteilung und Verdammung des nicht fassbaren Fasnachtsphänomens erwarten, lesen Sie besser nicht weiter!

Was ist die Fasnacht überhaupt? Es ist nicht einfach, ihre Wurzeln, ihren Ursprung und ihr Wesen festzumachen. Bei den nicht wenigen Fasnachtsforschenden gibt es keinen Konsens. Die einen führen die Fasnacht auf mythologische und heidnische Frühjahrskulte zurück. Die anderen sehen sie eng mit der kirchlichen Fastenzeit und mit der mittelalterlichen Festkultur verbunden.

Den Winter identifizierte man seit Langem als grauen Greis, den es zu vertreiben galt. Diese Jahreszeit nämlich war früher vom Nahrungsmangel wie vom fehlenden Licht und der im Vergleich zu heute schwierigen Heizsituation her die schwierigste und unangenehmste Jahreszeit. 

Heidnischer Brauch oder christliche Feier vor Fastenzeiten?
In Rom wurden Jahrhunderte vor der Geburt Christi um die Wintersonnenwende bereits die Saturnalien gefeiert, «eine verkehrte Welt», wie der Philosoph Seneca berichtet, in der für einige Tage die Herren zu Knechten wurden und die sonst rechtlosen Sklaven Narrenfreiheit genossen. Der Kölner Psychologe Wolfgang Oelsner bezeichnet das närrische Treiben der Saturnalien als «inszenierte Anarchie». Dazu kam das «Luperkalienfest» Mitte Februar. Das Christentum konnte das zweite Fest mit tief verwurzelten Bräuchen nicht abschaffen.

Im christlich gewordenen Europa konzen­trier(t)en sich die Masken- und Verkleidungsbräuche zwischen dem Martinitag, dem 11. November, der früher als Zinstag immer auch der letzte Festtag vor der damals noch langen vorweihnächtlichen Fastenzeit war, bis zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch.

Die Kirche versuchte zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert immer wieder, die heidnischen Bräuche zu bekämpfen oder diese mit christlichen Inhalten zu ersetzen. Es gelang aber erst den nachreformatorischen Kirchen, der Fasnacht ein Ende zu setzen, welche von den Evangelischen als «papistische Unsitte» bezeichnet wurde. Bei den Reformierten wurde die Fastenzeit nicht mehr begangen, sodass die auch für die Religion zuständige politische Behörde versuchte, der Fasnacht den Garaus zu machen. Einzig in Basel gelang dies nicht, wo via die Hintertüre militärischer Musterungen mit dem berühmten Trommeln und Pfeifen in die fasnächtliche Tradition einmündete.

Selbst im damals noch katholischen Solothurn versuchte die Regierung, der Fasnacht Schranken zu setzen. Maskentragen, Umzüge, früher eigentliche Saubanner­züge, Küchleinreichen und das für die Fasnacht besonders wichtige Tanzen konnten aber nie vollständig unterdrückt werden und leben in der einen oder anderen Art bis heute weiter. Die Solothurner Fasnacht hatte und hat immer auch einen kritischen Einschlag gegen Obrigkeit und Kirche, der sich in den Schnitzelbänken, Fasnachtszeitungen und in der Absetzung der Solothurner Stadtpräsidentin zeigt(e) und in den Bräuchen einzelner Zünfte nachzuweisen ist.

Fasnacht in Umbruchs-, Not- und Kriegszeiten
Schon in den unruhigen Jahren vor dem Franzoseneinmarsch 1798 bis zum Umschwung von 1830 waren die Fasnachtsfreuden in Solothurn eingeschränkt. Ab 1835 ist für den Schmutzigen Donnerstag ein Fasnachtsumzug belegt, ab 1853 intensiviert durch die spätere Narrenzunft Honolulu. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden die Umzüge aber noch nicht alljährlich durchgeführt.

Der heute urtümlichste Brauch, die attraktive Chessleten, ist erst ab 1888 in Solothurn nachgewiesen. Das über Jahrzehnte dank der vielen Maskenbälle gepflegte «Intrigieren» ging seit einiger Zeit mit dem fast völligen Untergang der Bälle verloren, während die übrigen Fasnachtsbräuche sorgsam weitergepflegt werden – nur unterbrochen durch Kriegs- und Krisenbedrohung und der kürzlichen Coronapandemie: 1915 bis 1920 gab es wegen des Ersten Weltkriegs und der Grippeepidemien keine Fasnacht, ebenso im Zweiten Weltkrieg 1940 bis 1945 und coronabedingt 2021 und 2022.

Was haben Fasnacht und Kirche gemeinsam?
Volksbräuche wie auch die Religion erfüllen eine wichtige Funktion im Leben jeder Gemeinschaft. Die Menschen finden sich zu einem gemeinsamen Handeln zusammen, das über die blossen Alltagsbedürfnisse und die Existenzsicherung hinausgeht. Es werden Erfahrungen von Werten, Sinn und Gemeinschaft ausgetauscht, wobei die Menschen ekstatische Wesen sind, die das Normale, den oftmals langweiligen Alltag übersteigen wollen. Dazu gehört auch Irrationalität in einer normierten und reglementierten Welt, die als einengend empfunden wird. Fasnacht wie Gottesdienst ermöglichen Transzendenzerfahrungen auf je eigene Art, das Ausleben auch unbewusster oder verdrängter Seiten unseres Menschseins. Das alles ist aber ohne Ordnung nicht möglich, und selbst in der scheinbaren Unordnung der Fasnacht versteckt sich sehr viel Ordnung und Disziplin.

Beides, die Fasnacht wie der Gottesdienst wirken integrierend und identitätsstiftend, fordern zur Gemeinschaft heraus und sind so ein Baustein gegen Individualisierung und Isolierung. Die Fasnacht lädt ein, mit anderen etwas anzupacken. So finden Menschen sich zusammen, die sich sonst nie begegnen würden. Dass das Fasnachtstreiben Unzähligen viel Freude bereitet, ist Anstoss und Ziel der vielen Aktiven an der Fasnacht.

Gerade in eher unfriedlichen Zeiten ist dieses Freude-Bereiten und -Erhalten besonders wichtig, damit wir für ausserordentliche Herausforderungen gestärkt werden. Ich bin überzeugt, dass dazu nicht nur die Fasnacht eine Hilfe ist, sondern auch der in der Kirche gelebte christliche Glaube, der uns ebenfalls aus dem Trott dieser Welt heraushebt, auf Grösseres öffnet, Gemeinschaft ermöglicht und Glück und Freude bringt.

Dass Fasnacht und Kirche zusammengehören, brachte der Solothurner Stadtpfarrer Thomas Ruckstuhl in seinem Reim in der Jesuitenkirche Solothurn, wo sich die Solothurner Narrengemeinde am Hilarimorgen 2024 versammelte, so auf den Punkt:

So zien ich jetzt mis Fazit,

zum Thema wo mer mir höt git,

Fasnacht und Chile ghöred zunenand:

«Vo döt här» – schöne Hilari mitenand!

De Säge vom Pfarrer heit er.

Drum: Macheds guet, blibed christlich und heiter.

Halleluja.   

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