Editorial

Zuerst der Jubel...

Kürzlich wurde ich in der Schule von einer Schülerin gefragt, welche Bedeutung der Palmsonntag besitze. Sie verstehe nicht, warum der Jubel eine so zentrale Rolle spiele. Würde man versuchen den Palmsonntag möglichst bildhaft zu erklären, dann wäre es ein reich geschmücktes Eingangstor zu einem steinigen Weg. Das reich geschmückte Eingangstor ist der umjubelte Einzug von Jesus in Jerusalem, geschmückt von Palmzweigen und Blüten aller Art; der steinige Weg ist die darauffolgende Passionsgeschichte, das in der Bibel beschriebene Leiden Jesu, bis hin zum einsamen Sterben am Kreuz. Tage, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, denn die Karwoche ist eine Woche, die sich an innerer Spannung und Dramatik nicht überbieten lässt.

Doch was hat sich vor gut 2000 Jahren abgespielt? An Palmsonntag ist Jesus, laut biblischem Bericht, wie ein König in Jerusalem eingezogen. Zwar bescheiden auf einem Esel, doch unter dem Jubel der dort versammelten Bevölkerung. Doch diese enthusiastischen Jubelrufe sollten schon bald zu Anschuldigungen und Pöbeleien verkommen. Innert wenigen Tagen kippt die Stimmung von zustimmenden Bekundungen hin zu hasserfüllten Anklagen. Eine irritierende Erfahrung, die auch in der heutigen Zeit in Gesellschaft und Politik nicht unbekannt ist. 

Volkstümlich war der Palmsonntag schon seit jeher ein willkommenes Glanzlicht in der sonst eher düsteren Fastenzeit. In Nordeuropa sind Palmsonntagsprozessionen schon seit Jahrhunderten Bestandteil der Feierlichkeiten. Augenfällig sind in diesem Zusammenhang auch die mit Früchten bestückten Palmgebinde, welche in den Pfarreien selbst erstellt werden. Auch die einzelnen Palmzweige gehören zum Brauchtum und werden bis heute geweiht als Schutzmittel nach Hause genommen. Vermehrt werden auch wieder waschechte Esel in den Palmsonntagsprozessionen, teilweise mit aufgesetzten Holzfiguren, eingesetzt. Grundsätzlich steht der Palmsonntag für die Vergänglichkeit des schnellen Jubels und des Opportunismus und zeigt eindrücklich auf, dass nicht im Getöse und Mainstream die grundlegende Wahrheit liegt, sondern im tiefsten menschlichen Ringen um die Wahrheit. 

Mit freundlichen Grüssen      

Reto Stampfli