Der letzte Kardinal, der kein Priester war: Theodulf Mertels fulminante Karriere in Rom

Theodulf Mertel machte Karriere als Jurist an der römischen Kurie, erarbeitete über Nacht einen Verfassungsentwurf für den Kirchenstaat, nahm als Kardinal am Ersten Vatikanischen Konzil teil und krönte 1878 Papst Leo XIII. Und all das als Diakon.

Als Theodulf Mertel vor 125 Jahren, am 11. Juli 1899, in dem mittelitalienischen Bergwerksort Allumiere starb, hatte er eine äusserst bemerkenswerte Kirchenkarriere hinter sich. Ja, Papst Pius IX. (1846-1878) soll ihn sogar als den «besten Mann des 19. Jahrhunderts» bezeichnet haben – und machte Mertel zu seinem Testamentsvollstrecker. Auf jeden Fall aber war der bayrischstämmige Jurist eines: der bis heute letzte Kardinal, der kein Priester war. Und ein Laie, der einem Papst die Krone (Tiara) aufsetzte. Die Wege des Herrn sind unergründlich, so heisst es. Theodulfs Vater jedenfalls, der fromme Bäcker Isidor Mörtl bzw. Mertel aus dem oberbayerischen Eglfing am Pfaffenwinkel, wählte den Weg über die Alpen, um mit seiner Frau Maria Franziska, einer Vorarlbergerin, ein neues Leben im Kirchenstaat zu beginnen. So versorgte er als Bäcker die Minenarbeiter von Allumiere nördlich von Rom, die dort im Auftrag des Papstes das Mineral Alaunstein abbauten.

Karriere in der römischen Kurie

Der 2017 gestorbene Studiendirektor Martin Eckart aus Huglfing hat sich eingehend mit Mertels Biografie befasst. Demnach wurde Theodulf am 9. Februar 1806 als erster Sohn der Familie in Allumiere geboren. Er besuchte eine Ordensschule, studierte in Rom Jura und war Ende der 1820er Jahre, mit kaum mehr als 22, Doktor des Rechts wie auch des Kirchenrechts. Und die Welt ist klein im Kirchenstaat: Nachdem sich Mertel als Anwalt in seinem Heimatort niedergelassen hatte, erreichte ihn 1831 der Ruf Papst Gregors XVI. an die römische Kurie. Der talentierte Jurist versah dort verschiedene Posten, verteidigte unter anderem Bedürftige in Rechtsfragen und erklomm allmählich die Karriereleiter. 1843, inzwischen als Präsident des vatikanischen Zivilgerichtshofs, trug er erstmals den päpstlichen Ehrentitel eines Prälaten –   obwohl er gar nicht der Geistlichkeit angehörte.

Verfassungsentwurf über Nacht

Sein Meisterstück lieferte Mertel ab, als 1848 die Revolution in Italien ausbrach und auch Pius IX. vorübergehend aus Rom fliehen musste. Angeblich fertigte Mertel damals buchstäblich über Nacht einen Verfassungsentwurf für den Kirchenstaat mit 69 Artikeln ab, die der Papst ohne jede Änderung abgenickt habe. Damit erwarb sich der bescheiden auftretende Jurist uneingeschränktes Vertrauen des – persönlich durchaus komplizierten – Pius IX. und rückte in den innersten Zirkel des Vatikans auf. Seit 1853 war Mertel Innen- und Justizminister des Kirchenstaates, ab 1863 sogar Regierungschef. Im März 1858 verpasste ihm der Papst – gegen seinen ausdrücklichen Willen, wie es hiess – den Kardinalshut. Auch die Priesterweihe lehnte er ab. Mit der im Mai erfolgten Diakonenweihe gehörte Mertel aber fortan immerhin formell dem geistlichen Stand an.

Am Ersten Vatikanischen Konzil mit dabei

Als Kardinal nahm Mertel 1869/70 auch am Ersten Vatikanischen Konzil teil. In der Debatte um die päpstliche Unfehlbarkeit sträubte sich der Jurist nicht, mahnte aber sehr exakte Formulierungen sowie eine starke kirchenpolitische Zurückhaltung in der Anwendung an. Als italienische Einigungstruppen Rom besetzten und den Kirchenstaat annektierten, wurde das Konzil am 20. Oktober 1870 abgebrochen. Es war dann Mertel, der jenes Schreiben aufsetzte, mit dem Pius IX. gegen das – völkerrechtswidrige – Ende des Kirchenstaates protestierte.

Testamentsvollstrecker des Papstes

Wohl aus Dankbarkeit wie auch Vertrauen machte ihn Pius IX. zu seinem Testamentsvollstrecker – was den Kardinal letztlich in eine missliche Lage brachte. In einer Sommernacht 1881 begleitete er die heimliche Überführung der sterblichen Überreste in die römische Basilika San Lorenzo fuori le mura. Es gab Tumulte, und eine wütende Menge versuchte, den Sarg des Papstes in den Tiber zu werfen. Zuvor aber erlebte das bayerisch-italienische Einwandererkind Theodulf Mertel die grösste Ehre seines Lebens: Ein Bäckerssohn, der nie zum Priester geweiht wurde, krönt den neuen Papst. Nachdem Vincenzo Gioacchino Pecci als Leo XIII. (1878-1903) gewählt worden war, erkrankte der zuständige Kardinalprotodiakon und konnte die Krönungszeremonie in der Sixtinischen Kapelle nicht leiten. Kardinal Mertel übernahm – und setzte seinem neuen Chef die Tiara auf.

Karitative Aktivitäten im Alter

Auch Leo XIII. vertraute Mertel als Jurist, Diplomat und Wissenschaftler zahlreiche Aufgaben an, machte ihn 1884 zum Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche. Nach 1889, mit 83 Jahren, wurde es dann ruhiger um Mertel. Er widmete sich fortan noch stärker Wohltätigkeit und Wissenschaften; so etwa der römischen Archäologie, neuen Entdeckungen in den frühchristlichen Katakomben. Er engagierte sich für die Versorgung von Taubstummen und Behinderten und finanzierte armen Priesteranwärtern das Studium.

Befreundet mit Johann Gregor Mendel

Auch förderte Mertel seine Geburtsstadt Allumiere, wo ihn nicht nur die Lokalgeschichte faszinierte, sondern auch Geologie und Mineralogie. Befreundet war er mit dem mährisch-österreichischen Augustinerabt, Biologen und Begründer der Vererbungslehre Johann Gregor Mendel (1822-1884).

Fast blind und lahm starb Theodulf Mertel – der «Kardinal, der nie zum Priester geweiht wurde», wie die internationale Presse damals titelte – im damals nicht gewöhnlichen Alter von 93 Jahren in seiner Heimatstadt. Die Gemeinden Eglfing und Allumiere gingen 2000 eine Städtepartnerschaft ein. In Rom und Eglfing sind Strassen nach Mertel benannt.