Papst-Schreiben zu Missbrauch

Während aus kirchlichen Kreisen dem jüngsten Schreiben von Papst Franziskus mehrheitlich Anerkennung gezollt wird, fühlen sich die Opfer nach wie vor nicht ernstgenommen. Gefordert seien Taten. Und endlich müssten auch die zur Verantwortung gezogen werden, die für die Vertuschung der Skandale verantwortlich waren.

Die Päpstliche Kinderschutzkommission hat den jüngsten Brief des Papstes zum Thema Missbrauch gewürdigt. Die Kommission fühle sich in ihrer Arbeit bestärkt, wenn der Papst dazu aufrufe, eine Politik von «Null Toleranz durchzusetzen und all jene zur Verantwortung zu ziehen, die solche Verbrechen begehen oder decken», heisst es in einer am Dienstag auf der Internetseite der Kommission veröffentlichten Erklärung.

Missbrauch und Macht – Hinschauen ist nötig

Laut Myriam Wijlens, Professorin für Kirchenrecht in Erfurt und Mitglied der Kommission, seien besonders drei Punkte des Papstbriefes wichtig. Zum einen der Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch, Missbrauch von Macht und dem des Gewissens. Damit spreche der Papst etwas aus, «das viele nicht im Zusammenhang sehen wollen».

Auch reiche es nicht aus, um Vergebung zu bitten und Wiedergutmachung anzubieten. Damit schaue man nur in die Vergangenheit. Um zu agieren und vorauszuschauen, verlange es einen radikalen Kulturwandel in der Kirche. Dazu sei der Klerus allein aber nicht in der Lage, so Wijlens. Daher betone der Papst: In Demut müssten sie um die Hilfe der ganzen Kirche bitte und sie auch annehmen.

Schliesslich betont Wijlens Franziskus' Unterscheidung von zwei Ebenen des Machtmissbrauchs: jene, die ihre Position ausnutzen, um Minderjährige und schutzbedürftige Erwachsene sexuell zu missbrauchen, sowie jene, die ihre Macht missbrauchen, solche Fälle zu vertuschen.

Den Opfern fehlt ein «Aufruf zum Handeln»

Irische Missbrauchsopfer zeigten sich kurz vor dem Papstbesuch beim Weltfamilientreffen in Dublin dagegen enttäuscht vom Schreiben. Man habe genug von «bedeutungslosen Entschuldigungen und Solidaritätsbekundungen», wird die Vorsitzende des Selbsthilfevereins «One in Four», Maeve Lewis, in irischen Medien zitiert. Man vermisse einen «klaren Aufruf zum Handeln».

Der bevorstehende Papstbesuch wecke bei vielen dort lebenden Missbrauchsopfern «alte Gefühle von Scham, Erniedrigung, Verzweiflung und Wut», so Lewis. Eine klare Leitlinie und Verpflichtung, wie die Kirche mit historischen Fällen von sexuellem Missbrauch in ihren Institutionen umgeht, wäre «das Mindeste, was sie verdienen», fordert Lewis.

Der Gründer der Gruppe «One in Four», Colm O'Gorman, räumte ein, dass Papst Franziskus mit «stärkeren Worten als je zuvor» sexuellen Missbrauch verurteilt habe. Er müsse sich aber weiter vorwerfen lassen, dass er immer noch nicht jene nenne, die für Vertuschung sexueller Missbrauchsskandale verantwortlich seien.

Die Verantwortlichen benennen

Als «aufrüttelndes Schreiben» hat der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, den am Montag veröffentlichten Brief von Papst Franziskus zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche gewürdigt. Noch nie in seiner fünfjährigen Amtszeit habe der Papst so deutlich ausgedrückt, «dass der sexuelle Missbrauch durch Priester immer zugleich auch ein Macht- und ein Gewissensmissbrauch ist».

Es stelle sich gleichwohl die Frage, «warum der Papst dieses Schreiben an das ganze Volk Gottes richtet, wo doch die Schuld und Verantwortung in erster Linie bei den Priestern, den Bischöfen und Ordensoberen liegt», so Ackermann. «Spricht der Papst nicht allzu leicht in der Wir-Form und nimmt damit diejenigen in der Kirche mit in Haftung, die aufgrund des skandalösen Verhaltens von Priestern selbst eher zu den Leidtragenden gehören?»

Andererseits lasse Franziskus keinen Zweifel daran, «dass er dem Klerus allein nicht die notwendige Kraft zur Erneuerung zutraut». Vielmehr setze er dabei auf die Hilfe des ganzen Gottesvolkes.

«Einen Schritt vorausgegangen»

Tief betroffen von den jüngsten Berichten über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in den USA hat sich Kardinal Christoph Schönborn gezeigt. Zugleich gab er sich am Dienstag im Interview mit der österreichischen Nachrichtenagentur "Kathpress" entschlossen: Die Kirche dürfe bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und der Präventionsarbeit nicht nachlassen.

Wieder einmal sei Papst Franziskus mit diesem Schreiben "einen deutlichen Schritt vorausgegangen", sagte Schönborn: "Dafür gebührt ihm unser aller Dank." Der Papst habe "Klartext gesprochen", wie mit Missbrauch in der Kirche umzugehen sei. "Er hat den Bischöfen und allen in der Kirche damit ganz klar den Weg gewiesen, der zu gehen ist." Es wäre höchst unfair, aufgrund der Missbrauchsfälle alle Priester unter Generalverdacht zu stellen, aber wenn ein Teil der Kirche betroffen ist, "dann können wir nicht so tun, als ginge uns das nichts an", so der Kardinal. (cic/kna/kap)

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