Aktuelle Nummer 18 | 2024
25. August 2024 bis 07. September 2024

Daniel Kosch: «Vieles ist möglich, bevor Rom Kirchenrecht und Katechismus umschreibt»

Wie blicken Sie auf die Weltsynode?

Daniel Kosch*: Offen gestanden mit gemischten Gefühlen. Einerseits sehe ich das Vorhaben, die Synodalität in der Kirche zu stärken, als grosse Chance, nicht zuletzt, weil das Projekt alle einbezieht – von der kleinsten Pfarrei bis zur Kurie in Rom und zum Papst selbst, aber auch die unterschiedlichsten Tendenzen.

Und auf der anderen Seite?

Kosch: Anderseits habe ich die Befürchtung, dass es nicht gelingt, konkrete Veränderungen herbeizuführen: Mitspracherechte für alle Getauften, Stärkung der Stellung der Frauen, Abbau klerikaler Machtstrukturen, Mechanismen, die Machtmissbrauch aller Art erschweren und sanktionieren.

Der Gegenwind scheint in manchen Teilen der Kirche noch immer stark zu sein. Können Reformen in der katholischen Kirche umgesetzt werden?

Kosch: Ich vermute, dass die meisten Ergebnisse der Weltsynode eher den Charakter von Impulsen und Entwicklungsperspektiven haben werden, die nicht umgesetzt, sondern in die je eigene Situation übersetzt werden müssen. Das wird nicht überall gleich und auch nicht gleich schnell geschehen. Die so entstehende Vielfalt und Unübersichtlichkeit macht jenen Angst, die Geschlossenheit und Eindeutigkeit wollen. Das ist einer der Hauptgründe für den Gegenwind.

Was passiert, wenn Papst Franziskus nicht mutig genug ist, die Synodalität wirklich umzusetzen?

Kosch: Für mich ist das eine sehr hypothetische Frage. Im Moment finde ich die Frage viel wichtiger, ob wir selbst und die Mitglieder der Weltsynode mutig genug für eine Kirche eintreten, die Synodalität nicht nur von andern fordert, sondern selbst lebt, hier und jetzt. Vieles ist heute schon möglich, bevor Rom das Kirchenrecht und den Katechismus umschreibt – auch wenn das ebenfalls dringend nötig ist.

Ist die Schweiz ein Vorbild in Sachen Synodalität?

Kosch: Dank der staatskirchenrechtlichen Regelungen werden in der Schweiz wichtige finanzielle und organisatorische Fragen demokratisch entschieden. Und dank der vielen haupt- und teilamtlich in der Seelsorge, Katechese, Jugendarbeit, aber auch in Fachstellen und Bistumsleitungen tätigen Laien gibt es Formen der Mitverantwortung Nicht-Geweihter, die es so in anderen Ländern nicht gibt. Dennoch finde ich es schwierig, von Vorbildlichkeit in Sachen Synodalität zu spreche, zumal die synodale Kirchenvision des Papstes anderswo entschiedener aufgegriffen und im je eigenen Kontext konkretisiert wurde. Ich denke an Lateinamerika, an Deutschland, aber auch an Australien. Lernen von anderen ist leider keine Schweizer Spezialität. Lieber sehen wir uns als Sonderfall, wo zudem alles von Kanton zu Kanton, von Bistum zu Bistum verschieden ist. (kath.ch)

*Der Theologe Daniel Kosch war bis 2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ). Er wird heute Abend bei der Veranstaltung «Synodal in die Zukunft? Eine Lagebestimmung vor der Weltsynode 2024» in der Paulus Akademie von 18.00 Uhr bis 20.45 Uhr zusammen mit Helena Jeppesen-Spuhler und Claudia Lücking-Michel zu hören sein.