
Reto Stampfli | Chefredaktor-Stellvertreter
Editorial
Lächerlich
Hat Jesus je gelacht? Das scheint uns heute eine lächerliche Frage zu sein; im Mittelalter wurde jedoch allen Ernstes darüber gestritten. Literarisch dargestellt ist dieses Phänomen im Mittelalter-Krimi «Der Name der Rose», in dem die Hauptperson, der Franziskanermönch William von Baskerville, mit dem Vorsteher der Bibliothek, dem greisen Jorge von Burgos, in ein heftiges Wortgefecht gerät, ob Jesus laut der Bibel tatsächlich einmal gelacht habe oder nicht. Jorge besteht darauf, dass in der Bibel in keiner einzigen Schriftstelle berichtet werde, dass Jesus je gelacht habe; worauf William kontert, dass er sich einen humorlosen Jesus ganz einfach nicht vorstellen könne und dass zahlreiche Heilige mit viel Humor die christliche Botschaft gelebt hätten, nicht zuletzt sein franziskanischer Gründungsvater.
Ich kann mir – gleich wie William von Baskerville – auch keinen humorlosen Jesus vorstellen. Wie oft wird doch von ihm berichtet, dass er sich in geselliger Art und Weise unter die Menschen gemischt habe, sei es bei einem Essen, bei einer Hochzeit oder in angeregten Gesprächen. Anders als zum Beispiel Buddha, der zwar oft lächelnd dargestellt wird, jedoch als Lehre eine klare Linie der Askese vertritt, ist Jesus der einzige Religionsstifter, der sich offenkundig auch dem Alltäglichen nicht vollständig entzogen hat. Humor und Religion ist bisweilen jedoch eine recht brisante Angelegenheit. Ja, ganz grundsätzlich scheinen Religionen und deren Ausübung eine eher humorlose Praxis zu sein. Das ist jedoch nicht gottgegeben: Vor allem das Judentum ist dafür bekannt, dass Witz und eine Portion Ironie nie schaden kann. Auch in der Geschichte des Christentums gab es immer wieder humor- und gehaltvolle Prediger. Manch einem schienen dabei die Pferde durchgegangen zu sein: Anno 1518 kritisierte zum Beispiel der Reformator Johannes Oekolampad die Osterbräuche am Basler Münster, wo Priester bald wie Gänse schnatterten, bald wie ein Kuckuck riefen. Einer soll sogar quiekend auf allen Vieren durch die Kirche gekrabbelt sein.
Heute erwarten wir kaum von einem Pfarrer oder einer Theologin, dass er oder sie auf allen Vieren durch die Kirche kraxelt. Doch ein bisschen mehr Freude und geistreicher Humor könnte vielerorts nicht schaden. Es geht ja um nichts weniger als die frohe Botschaft und nicht die traurige Nachricht, auch wenn einem aktuell in vielen kirchlichen Bereichen das Lachen im Halse stecken bleiben könnte.