
Kuno Schmid | Chefredaktor
Editorial
Demokratie
Seit Wochen tobt der Krieg in der Ukraine. Gewalt, Zerstörung und Tod verbreiten Entsetzen, Wut und Ohnmacht. Wir leiden mit der ukrainischen Bevölkerung mit und bewundern ihren mutigen Kampf für die Freiheit. Die erst vor wenigen Jahren errungenen demokratischen Rechte wollen sie nicht wieder preisgeben. Ihr Kampf erinnert an die Geschichte der Schweiz und wird von manchen als stellvertretende Verteidigung der Demokratie gegen autoritäre Regimes gesehen.
Demokratie ist mehr als Abstimmungen. Die demokratischen Staaten stehen auf der Grundlage von Menschenrechten und achten das Völkerrecht. Sie haben sich je eine Verfassung gegeben, welche die Freiheiten und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger und die gemeinschaftliche Verantwortung regelt. Rechtsstaatlichkeit, Machtteilung, freie Wahlen, unabhängige Gerichte, Bildung und Medien sollen Missbrauch und Willkür entgegenwirken sowie Lebensgestaltung und friedliches Zusammenleben ermöglichen. Es gehört zum Wesen einer Demokratie, sich um das Wohl aller zu kümmern, auch um Minderheiten und Benachteiligte, denn «die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen» (Schweizerische Bundesverfassung).
Auch eine Demokratie ist nie ideal und stets gefährdet. Aber sie kommt dem «christlichen Sinn» am nächsten, wie der europäische Gründungsvater Robert Schumann ausführte. Um die Demokratie muss stets gerungen werden und es lohnt sich, dafür zu kämpfen, auch in der Kirche. Denn innerkirchlich fehlt dieser «christliche Sinn» für Demokratie weitgehend. Der Begriff selbst ist tabuisiert. Die Kirchenleitung betont, dass Synoden und synodale Prozesse nichts mit Demokratie zu tun hätten. Zu sehr hat sich die Kirche im 19. Jahrhundert in monarchische Herrschaftsformen verstiegen, die sie bis heute prägen. Das ganze Missbrauchselend zeigt jedoch, dass hierarchische Machtstrukturen da keineswegs besser sind. Es ist dringend nötig, dass die Kirche nicht nur synodaler wird, sondern auch ein umfassendes Demokratieverständnis auf der Grundlage der vom Konzil angedachten Volk-Gottes-Theologie aufarbeitet.
Ich wünsche Ihnen Freude an einem demokratischeren Christentum, und dass durch das Einstehen für Demokratie auch die Solidarität mit der Ukraine glaubwürdig wird.