Aktuelle Nummer 25 | 2023
03. Dezember 2023 bis 16. Dezember 2023

Schwerpunkt

Maria in der Musik

von Silvia Rietz

Maria ist die bekannteste Frau der Kulturgeschichte und wurde in allen Epochen mit Gesängen verehrt und angerufen. In den Maiandachten wird traditionell zu Maria gebetet und Marienlieder werden gesungen. Die Auswahl ist gross. Komponisten aller Zeiten haben ihr gehuldigt: Von Pergolesis «Stabat Mater» über das populäre «Ave Maria» von Bach-Gounod bis zu Soul-Sänger Percy Sledge und der Band E Nomine, die das Ave Maria als elektronische Musik aufnahm.

Der Monat Mai ist in der katholischen Kirche als «Marienmonat» bekannt. Die Gottesmutter wird als die wichtigste unter allen Heiligen verehrt. Aus dem farbenfrohen Aufblühen der Natur in dieser Zeit ergibt sich die Mariensymbolik. Maria von Nazareth ist jedoch nicht nur den Christen als Muttergottes nahe, sondern durch die Musik und die Kunst über die Religion hinaus ein Begriff geworden. Maria inspirierte die bedeutendsten Komponisten zu Meisterwerken. Im Rahmen der bereits im frühen Christentum aufkommenden Marienverehrung entstand eine Reihe liturgischer
Musikformen, die durch einen immer gleichbleibenden lateinischen Text gekennzeichnet waren. Neben den sogenannten Marienantiphonen (Salve Regina, Regina coeli und Ave regina caelorum), kennen wir das Stabat Mater und das Ave Maria. Marienlieder erklingen in vielen Formen und werden nicht nur im liturgischen Kontext gesungen. Sie finden sich in der Volksfrömmigkeit, steht Maria doch auch für die emotionale und weibliche Seite des Glaubens. «Maria breit den Mantel aus» ist eines der bekanntesten Marienlieder, in dem um Schutz und Fürsorge gebeten wird. «Maria durch ein Dornwald ging» wird im Advent und an Weihnachten gesungen. Ist aber eigentlich ein Wallfahrtslied, dass sich im 19. Jahrhundert verbreitete und ins Kirchengesangbuch aufgenommen wurde. 

Ave Maria in der Kirche und in der Oper 
Ave-Maria-Kompositionen gibt es wie Sand am Meer. Nahezu jeder Komponist bis zur Reformation und danach zumindest jeder katholische Komponist hat ein oder meist mehrere Ave Marias geschrieben. Zu einer festen Grösse bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen ist neben dem «Ave Maria» von Franz Schubert jene anrührende Melodie von Bach/Gounod geworden. Die Originalversion für Klavier (ein Präludium von Bach) und Gesangsstimme wurde mittlerweile für jede nur erdenkliche Instrumentenkombination und Soloinstrumente bearbeitet. Selbst Popmusiker haben das Stück in ihr Repertoire aufgenommen. Marien-

lieder werden eben nicht nur in der Kirche, sondern ebenfalls auf Konzertpodien und im Musiktheater gesungen, sind auch aus der Oper nicht wegzudenken. Eine eindrückliche Szene hat Francis Poulencs in seiner Oper «Dialogues des Carmélites» geschaffen, wenn die Karmelitinnen, angeführt von Mutter Marie, zusammen das Ave Maria beten. Buchstäblich zum Niederknien ist der Moment, wenn Desdemona in Verdis «Otello» vor dem Schlafengehen das Ave Maria anstimmt und die Todesahnung in jeder Note mitschwingt.   

Stabat Mater – der Schmerz einer Mutter
Der Text des «Stabat Mater» bietet kultische Marienverehrung und stammt aus dem 13. Jahrhundert: gläubig-empfindsame, kurze Strophen. Die deutsche Übersetzung beginnt so: «Christi Mutter stand mit Schmerzen / Bei dem Kreuz und weint von Herzen / Als ihr lieber Sohn dort hing …» Das «Stabat Mater» steht für den Schmerz der Mutter Jesu unter dem Kreuz. Wie beim «Ave Maria» haben von Scarlatti, Schubert und Liszt bis Karl Jenkins (*1944) und Wolfgang Rihm (1952) unzählige Komponisten das mittelalterliche Mariengedicht vertont. Die berühmtesten komponierten Pergolesi, Rossini und Dvořák.  

Der Schmerz war im Zeitalter des Barock einer jener Affekte, der viele Komponisten zu ihren schönsten und ergreifendsten Werken inspirierte. Dazu zählt sicher auch das «Stabat Mater» von Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736), welches er unmittelbar vor seinem frühen Tod schuf. Deswegen musste das Stück – ähnlich wie Mozarts «Requiem» – als Projektionsfläche für Legenden und Mutmassungen herhalten. In Pergolesis Klageliedern über den Verlust des irdischen Lebens ist auch ein Moment der Hoffnung und der Freude eingewoben, das Erwarten der himmlischen Herrlichkeit und das Abstreifen alles Irdischen. 

Giacchino Rossini (1792–1868) schrieb 1842 sein «Stabat Mater», welches nicht verleugnen kann, dass sein Schöpfer der Oper zugeneigt war. Die Komposition ist wahrscheinlich eines der ungewöhnlichsten Stücke geistlicher Musik, welches je geschrieben wurde: ein Konglomerat von leidenschaftlichen, vor Italianità sprühenden Arien und Melodien im strengen Kirchenstil (oder besser, dessen Rossini-Version). Ein Marien-
hymnus, der vom ersten bis zum letzten Ton den Gefühlen der Gottesmutter nachspürt und zutiefst bewegt.  

Wohl keiner seiner Vorgänger konnte den Schmerz Mariens unter dem Kreuz so nachempfinden wie Antonín Dvořák (1841–1904).  Das Herzweh der Muttergottes spiegelte seine eigene Trauer:  1875 starb die neugeborene Tochter Josefa nach nur zwei Tagen, und 1877 erlagen die elf Monate alte Tochter Ružena einer Vergiftung und der dreijährige Sohn Oskar den Pocken.  Schon die ersten Klänge des «Stabat Mater» künden von tiefem Leid, auch wenn die Chorpartien des 1876 geschriebenen und 1877 erweiterten Werks immer wieder Momente der Hoffnung aufblitzen lassen. 

Maria gewidmete Musik der ­Moderne
Als der Soul-Sänger Percy Sledge 1969 mit dem «My Special Prayer» seine Version des «Ave Maria» aufnahm, landete er einen Welthit, der noch heute erschauern lässt. Selbst in Filmen wird zur Jungfrau gebetet: Michal Lorenc komponierte 1999 den Sountrack zum polnischen Film «Prowokator» und hat ein «Ave Maria» eingeflochten. Carlos Santana bezieht sich in seinem 2000 erschienen Stück «Maria, Maria» auf Leonard Bernsteins Musical «West Side Story». In der Musik aus dem katholisch geprägten Latino-Bereich ist die Marienverehrung ohnehin präsent, wie das 2002 erschienene «Ave Maria» von David Bisbal zeigt. Während Jimmy Hendrix 1968 die wunderschöne Ballade «The wind cries Mary» mit dem surrealistischen Text vom Wind, der nach Maria ruft, zum Erfolg brachte. Es gibt in der Musik keine Grenzen – auch nicht in der Marienverehrung. 

Mariengesänge sind Ohrwürmer. Innige Musik, die uns in vielen Lebenslagen begleitet und aus der Musikgeschichte nicht wegzudenken ist.  

Keine andere moderne Künstlerin hat sich im kirchlichen Repertoire so ausgiebig bedient wie die amerikanische Sängerin «Madonna». Bei einer Gala des Metropolitan Museum of Art in New York trat sie mit Glockenläuten und einem Mönchs­chor auf. Mit ihrem fast 30 Jahre alten Hit «Like a Prayer» (Wie ein Gebet) eckt sie noch heute bei konservativen Politikern und in Kirchenkreisen an. Madonna, die in den frühen 1980er-Jahren Kruzifixe als Mode-Accessoires etablierte, setzte Trends in Musik und Videokunst, in Mode und Bühnen-Performance. Sie beherrscht das Spiel mit der Provokation und war doch auch immer eine spirituell Suchende. Die Katholikin mit italienischen Vorfahren brach als Jugendliche mit dem Katholizismus, mit dem sie in einer Art Hassliebe verbunden ist. Ihre Tochter benannte sie nach dem katholischen Wallfahrtsort Lourdes. (rst)