
Reto Stampfli | Chefredaktor
Editorial
Ein Segen für alle
Vom Jodlerclub in meinem Heimatdorf wurde ich angefragt, ob ich ihre neue Tracht segnen würde, die zum Anlass des 100-Jahr-Jubiläums angeschafft worden war. Dieses Engagement freute mich sehr, aber es liess bei mir eine leichte Verunsicherung aufkommen. Ich war schon bei zahlreichen Einweihungen mit dabei gewesen, wo ein Priester mit Weihwasser und liturgischen Formeln diesen zeremoniellen Akt vorgenommen hatte. Und so stellten sich bei mir einige Fragen: Bin ich die richtige Person, um eine Segnung vorzunehmen, in welcher Form soll das Ritual stattfinden oder ganz grundsätzlich: Darf man überhaupt Dinge wie eine Tracht segnen?
Ein Blick in die Bibel schien mir die richtige Lösung zu sein. Im Alten Testament kommt der Segen in den verschiedensten Lebenssituationen vor. Bereits bei der Schöpfung wird vom Segen geredet. Der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,28) erzählt, dass Gott Mann und Frau zu seinem Bilde schuf und sie segnete. Es ist wie ein positives Vorzeichen, das es dem Menschen ermöglicht, seinem Auftrag gerecht zu werden. Auch die Beispiele im Neuen Testament zeigen deutlich auf: Der Segen ist kein magischer Glücksbringer, kein billiger Zauberspruch; er ist vielmehr eine heilende, stärkende und Mut machende Begleitung durch die Höhen und Tiefen des Lebens.
Durch das offizielle Segensbuch der katholischen Kirche, dem Benediktionale, wurde ich bestätigt: «Auf Grund des allgemeinen oder besonderen Priestertums oder eines besonderen Auftrages kann jeder Getaufte und Gefirmte segnen.» Und so entschied ich mich, nicht die Trachten als etwas Materielles zu segnen oder gar einzuweihen, sondern die Trägerinnen und Träger und ihnen eine stärkende und Mut machende Begleitung durch die kommenden Vereinsjahre mit besonderem Blick auf die heilende Kraft der Gemeinschaft zu wünschen. Generell ist ein Segen immer auf das Heute und das Morgen gerichtet. Gute Segensgelegenheiten sind dort, wo sich jemand auf den Weg macht, sei es nun ein Jodlerclub, eine Jugendgruppe oder ein Mensch, dem man nahesteht. Gute Worte, Segensworte öffnen einen Raum des Lebens und der Liebe. Segensworte können – wie im Negativen ein Fluch – die Situation positiv verändern. Und so habe ich am Jubiläumsabend keine Trachten geweiht, sondern gemeinschaftlich dafür gebetet, dass die schmucken Kleider und ihre Trägerinnen und Träger zu einem Segen füreinander und für die Zuhörenden werden können.
Ich wünsche allen eine segensreiche Zeit