
Vorne von links: Béatrice Müller, BSS, Anne Barth, KSO, Susanne Cappus, DO. Hinten von links: Sibylle Kicherer Steiner, PD, Nicole Häfeli, BSS, Urs Rickenbacher, BSS, Claudia Leutschaft, PD, Leni Hug, KSO. Es fehlt: Hans Alberto Nikol, KSO
Schwerpunkt
Spiritualität im Gesundheitswesen
von Leni Hug und Nicole HäfelI
Die enge seelsorgerliche Betreuung von Kranken und Sterbenden gehört seit langer Zeit zu den Aufgaben und Herausforderungen der Kirchen. Durch die technische Entwicklung in der Medizin hat sich der Auftrag verändert. Ein aktueller Einblick in das Wirken der Spitalseelsorge.
Theologische und historische Aspekte
Es gehört zum Selbstverständnis christlicher Gemeinschaften, Menschen und ihre Angehörigen in Lebenskrisen, in Krankheit und beim Sterben seelsorgerlich zu begleiten. Ihr Selbstverständnis gründet unter anderem auf dem jesuanischen Heilungs-Auftrag aus dem Lukasevangelium 9, 1-2: «Dann rief Jesus die Zwölf zu sich und gab ihnen die Kraft und die Vollmacht, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken gesund zu machen. Und er sandte sie aus mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen.» Jesus verstand seinen göttlichen Auftrag auf alle Menschen bezogen, unabhängig von Gemeindezugehörigkeit oder religiöser Anbindung. Sein Heilungswirken bezog sich auf alle Bereiche des Menschseins (körperlich, sozial, psychisch und geistig). Es ging ihm dabei um ein ganzheitliches Menschen- und Gesundheitsverständnis und um ein einzigartiges Beziehungsgeschehen, in dem die Nähe Gottes erfahrbar werden kann.
Mit der Entstehung von Hospizen im Mittelalter und der Gründung von Spitälern durch Ordensleute wurde die seelsorgerliche Begleitung von Kranken und Sterbenden auch Teil des damaligen Gesundheitswesens. Bis in die Spätmoderne waren Ordensfrauen Krankenschwestern und pflegten Patienten/-innen mit einem ganzheitlichen Menschenverständnis. Parallel dazu spezialisierte und differenzierte sich die medizinische Wissenschaft. Die technische Entwicklung und Forschung in der Medizin ermöglichte immer besser, dass viele Krankheiten geheilt werden oder dass damit länger gelebt werden kann. Die durchschnittliche Lebenszeit eines Menschen in den westlichen Industrieländern hat sich seit dem 19. Jh. verdoppelt. Gleichzeitig veränderte sich mit der medizinischen und technischen Spezialisierung der Blick auf Patienten/-innen und verengte sich auf ein eher biomedizinisch mechanistisches Menschenbild. In der Medizin scheint nun fast alles möglich zu sein. Damit einhergehend stellte sich aber gesellschaftlich neu die Frage nach dem Menschenbild und dem damit verbundenen Verständnis von Gesundheit und Krankheit sowie die Frage nach selbstbestimmtem und würdigem Sterben dort, wo Heilung medizinisch gesehen nicht mehr möglich ist.
Durch die Gründung der WHO (1946) und durch die modernen Hospizbewegungen, die Cicely Saunders 1967 in London ins Leben gerufen hatte, rückte die spirituelle Dimension des Menschseins wieder neu ins Bewusstsein. Die Bangkok Charta für Gesundheitsförderung in einer globalisierten Welt (2005) geht von einem bio-psycho-sozio-spirituellen Gesundheitsmodell aus. Die dazugehörigen professionellen Disziplinen in Palliative und Spiritual Care setzen sich allmählich im Gesundheitswesen durch und werden auch in der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen.
Ökumenische Spitalseelsorge in den Solothurner Spitälern
Die Spitalseelsorge ist von den Entwicklungen im Gesundheitswesen mitbetroffen und muss diese in ihr Selbstverständnis mit einbeziehen, will sie auch weiterhin aktiv mitgestalten können. Als wichtiger, wenn auch am Rande angesiedelter Teil des Gesundheitswesens ist sie im Spital integriert und bringt sich in verschiedenen interprofessionellen Teams ein (Palliativstation Kantonsspital Olten, Palliativer Konsiliardienst Bürgerspital Solothurn, Interdisziplinärer Arbeitskreis Akutgeriatrie KSO und BSS, Care Team soH). Regelmässige Präsenz auf den verschiedenen Bettenstationen und in den onkologischen Ambulatorien ermöglicht es, dass Patienten/-innen in allen Dimensionen wahrgenommen werden, auch in ihren spirituellen Bedürfnissen und Anliegen. In der interprofessionellen Zusammenarbeit sind die je spezifische berufliche Herkunft und Sprache wie auch die verschiedenen Perspektiven auf Patienten/-innen eine grosse Herausforderung für alle im Spital tätigen Berufsgruppen. Damit Spitalseelsorge in den verschiedenen Aufgabenfeldern professionell wirken kann, sind neben Theologiestudium und Gemeindepraxis Weiterbildungen in Spezialseelsorge, Palliativ- und Spiritual Care nötig. Weiter braucht es Verständnis für das System Spital, medizinisches Grundwissen und eine gute Kommunikationsfähigkeit, um sich kompetent als Berufsgruppe einbringen zu können. Spitalseelsorge braucht aber auch den Rückhalt kirchlich verantwortlicher Gremien und Rückbindung an ihre geistige Heimat, sonst verliert sie ihre kirchlichen Wurzeln.
Ökumenische Arbeitsgruppe Palliative Care und Kirchen im Kanton Solothurn
Mit dem Einbezug der spirituellen Dimension im Gesundheitswesen und in Palliative Care gewinnt auch im ambulanten Bereich eine Vernetzung und Zusammenarbeit von Seelsorgenden und Gesundheitsfachleuten immer mehr an Bedeutung. Die Kirchen können dabei mit ihren Kernkompetenzen und Ressourcen von Seelsorgenden und Freiwilligen einen wichtigen Beitrag leisten.
Auf Initiative der Spitalseelsorge bildete sich deshalb im Kanton Solothurn eine ökumenisch breit abgestützte Arbeitsgruppe, um Kirchgemeinden, Pastoralräume und Pfarreien / Pfarrämter für die Zusammenarbeit in Palliative Care zu sensibilisieren und Hilfsangebote bereitzustellen. Eine Umfrage zu Palliative Care und Kirchen im Kanton Solothurn (2019) zeigt, dass von den Gemeinde-Seelsorgenden her ein Bedarf besteht, sich lokal im ambulanten wie im institutionellen Bereich vermehrt mit den verschiedenen Playern im Gesundheitswesen zu vernetzen.
So wurde von der ökumenischen Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Spitalseelsorge in mehreren Workshops für Gemeinde-Seelsorgende im Raum Solothurn und Olten das Indikationen-Set als ein Instrument vorgestellt, welches für die regionale Vernetzung dienlich sein kann.
Indikationen-Set als Brücke zu Gesundheitsfachleuten
Das von Seelsorgefachpersonen aus den Kantonen Bern und St. Gallen im Dialog mit Gesundheitsfachleuten entwickelte Indikationen-Set bietet ein praktikables Instrument an, welches Gesundheitsfachpersonen (Spitex, Hausärzte/-innen, Mitarbeitende in Pflegeinstitutionen) hilft, spirituelle Bedürfnisse rascher und zielgerichteter wahrzunehmen. Es zeigt auf, in welchen Situationen eine Fachperson der Seelsorge zur Begleitung für Patienten/-innen beigezogen werden könnte.
Das Indikationen-Set (https://www.spiritualcare-interprofessionell.ch/indikationen) verweist auf existenzielle Themenbereiche wie Sinn, Werte, Identität und Transzendenz, die im Selbstverständnis eines Menschen eine Rolle spielen – im individuellen Deuten und Erleben von Krisen, Krankheit und Sterben.
Zusammenarbeit mit palliative-so
Ein Mitglied der ökumenischen Arbeitsgruppe, zugleich Spitalseelsorgerin, arbeitet im Vorstand des Vereins «palliative-so» mit. Die Solothurner Spitäler und der Kanton Solothurn (Umsetzung Konzept Palliative Care Kanton Solothurn) haben dem Verein den Auftrag gegeben, die Solothurner Öffentlichkeit für Palliative Care zu sensibilisieren und Projekte durchzuführen. Im Rahmen dieser Sensibilisierung startet ab diesem Herbst unter anderem das Projekt «Letzte Hilfe Kurse» in Kooperation der Kirchen mit «palliative-so».
Freiwillige, Wegbegleitung
In der palliativen Versorgung ist das Angebot, bei Bedarf Freiwillige mit einzubeziehen, Teil des Konzepts, ob in der Begleitung zu Hause, in einer Langzeitinstitution oder im Spital. Regional entstandene, kirchliche Besuchsgruppen, ökumenisch organisierte Vereine für freiwillig Tätige in Palliative Care wie auch die Wegbegleitung der kath. Kirche bilden dabei wichtige Pfeiler in der Betreuung chronisch erkrankter und sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Auch hier ist die lokale Vernetzung mit Gesundheitsfachleuten von zentraler Bedeutung. Unabhängig von Konfessions- und Religionszugehörigkeit wird der Seelsorge im Gesundheitswesen durch den Einbezug der Dimension der Spiritualität wieder vermehrt Beachtung geschenkt. Es ist zu hoffen, dass es den Kirchen gelingt, sich im jesuanischen Sinne einer ganzheitlichen Begleitung und Betreuung von Menschen gesellschaftlich wieder stärker einzubringen.
Leni Hug (61), Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Olten und Nicole Häfeli (53), Spitalseelsorgerin am Bürgerspital Solothurn.