
Reto Stampfli | Chefredaktor
Editorial
Humor als Stilmittel
Man kann die Bibel zweifellos als eine Bibliothek voller literarischer Besonderheiten beschreiben; sie ist jedoch nicht gerade als humoristischer Bestseller bekannt. Das Evangelium ist zwar die «frohe Botschaft» – und nicht die traurige – doch in ihm taucht das Wörtchen Humor, das Heiterkeit verspricht, kein einziges Mal auf. Trotzdem gibt es im Neuen Testament humorvolle Elemente, wenn auch einiges subtiler als in der heutigen lauten Comedy. Der Humor in der Bibel ist von Ironie geprägt, paradox oder nutzt Wortspiele. So kritisiert zum Beispiel Jesus in Matthäus 23,24 seine «Lieblingskontrahenten», die Pharisäer, mit einem humorvollen Bild, wenn er sagt: «Ihr siebt die Mücke aus, aber das Kamel verschluckt ihr!» Ein absurdes Bild, das ihre Heuchelei verdeutlichen soll. Nicht weniger übertrieben wirkt auch der berühmte «Balken-Vergleich» in Matthäus 7,3–5: «Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?» Mit waschechter Situationskomik haben wir es in Johannes 21,7 zu tun: Als Petrus erfährt, dass Jesus am Ufer steht, zieht er sich hektisch ein Obergewand an und springt ins Wasser, anstatt mit dem Boot zum Ufer zu fahren. Eine slapstickartige Szene à la Monty Python. Auch die Apostelgeschichte (12,13–16) wartet mit einer unerwarteten Pointe auf: Als Petrus unerwartet aus dem Gefängnis befreit wird und an die Tür des Hauses klopft, in dem seine Freunde anwesend sind, glauben die Versammelten nicht, dass er es wirklich ist, halten ihn für einen Engel und lassen ihn einfach draussen stehen. Der einflussreiche Apostel gibt immer wieder Anlass zum Schmunzeln, obwohl er an anderer Stelle sogar als «der Fels» bezeichnet wird. Ebenfalls in der Apostelgeschichte (20,9–10) wird von einem jungen Mann namens Eutychus berichtet, der während einer langen Predigt von Paulus einschläft, aus dem Fenster im dritten Stock auf die Strasse fällt und stirbt – nur um kurz darauf wiederbelebt zu werden. Eine tragisch-komische Szene, die andeutet, dass selbst Paulus’ Predigten manchmal langweilig und zu lang waren. Das Neue Testament zeigt Humor oft als Mittel zur Lehre oder zur Entlarvung von Heuchelei. Jesus benutzt humorvolle Bilder, um seine Zuhörer zum Nachdenken zu bringen – und manchmal auch zum Schmunzeln.
Mit frohen Grüssen
Reto Stampfli