Editorial

Von der Schriftrolle zum E-Book

Ich gebe es offen und ehrlich zu: Ich bin bibliophil. Stundenlang kann ich zwischen meinen Büchern sitzen und ihre bunten, vielversprechenden Rücken betrachten. Jedes einzelne Buch ist eine Meisterleistung, ein Konglomerat von Fleiss, Kreativität und Ausdauer. Wenn ich ein neues Exemplar erworben habe, trage ich es stolz in meine vier Wände, lese gierig die ersten paar Seiten und lasse mich vom Geruch der noch frischen Druckerschwärze berauschen. In meiner Nähe sind stets Bücher anzutreffen, sei es nun zu Hause, auf einer Reise oder am Arbeitsplatz. Wenn ich bei jemandem auf Besuch weile, sehe ich mich beim Betreten des Hauses immer zuerst nach Büchern um. Wohnungen, in denen keine Bücher von den Regalen grüssen, sind mir höchst suspekt. Es fehlt etwas Entscheidendes, damit es einem wohl sein könnte. 

So konnte ich auch die Rückkehr des berühmten Codex Moutier-Grandval in den Jura kaum erwarten. Dieses einzigartige Werk aus dem 9. Jahrhundert verströmt bis heute eine Aura von unglaublicher Ausdauer, unbändiger Kreativität und tiefem Glauben. Die 449-seitige Handschrift, die bis Juni 2025 im Jurassischen Museum für Geschichte und Kunst in Delsberg zu bewundern ist, stellt ein literarisches Weltkulturerbe dar. Bücher sind auf viele Weisen einzigartig. Zum einen bieten sie einen Raum für tiefe, persönliche Auseinandersetzung mit Ideen und Geschichten, die uns auf unterschiedliche Weisen berühren. Jedes Buch hat eine eigene Welt, die der Autor oder die Autorin erschafft, und diese Welt kann für jeden Leser anders wahrgenommen werden. Die Art und Weise, wie ein Buch geschrieben ist – sei es der Stil, die Sprache, die Struktur – kann eine einzigartige Erfahrung erzeugen, die wir in dieser Form nur in diesem einen Werk finden. Ein weiteres einzigartiges Merkmal von Büchern ist die Möglichkeit, in verschiedene Perspektiven einzutauchen. Sie erlauben es uns, das Leben aus den Augen anderer zu sehen, sei es in einer fiktiven Erzählung oder durch Sachliteratur, die uns neue Sichtweisen und Einsichten gibt.

Und natürlich gibt es auch den physischen Aspekt. Ein gedrucktes Buch hat eine haptische Qualität – das Umblättern der Seiten, der Geruch von Papier, das Gefühl des Buches in den Händen – all das trägt zur Einzigartigkeit des Erlebnisses bei. Bei E-Books fehlt dieser greifbare Teil, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht praktische Vorteile bieten. 

Mit literarischen Grüssen 

Reto Stampfli