Aktuelle Nummer 24 | 2025
16. November 2025 bis 29. November 2025

Editorial

Jesus gegen Christus

«Jesus gegen Christus» titelt provokativ die aktuelle Spezialausgabe der «Herder Korrespondenz». Eine ganze Nummer der theologischen Monatszeitschrift ist dem Konzil von Nizäa und der «Gottesfrage» gewidmet. In der vorliegenden Ausgabe des «Kirchenblatts» beschäftigt sich auch der Theologe Urban Fink mit diesem wegweisenden Konzil und zeigt auf, dass vor 1700 Jahren im fernen Nizäa die arianische Behauptung im Zentrum stand, dass Jesus Christus nicht göttlich im vollen Sinne sei, sondern ein geschaffenes Wesen – höher als Menschen, aber unterhalb Gottes. Nach hitzigen Debatten verankerte die Mehrheit der Konzilsteilnehmer die Lehrmeinung, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sei – also wesensgleich mit dem Vater. Das klingt für theologisch wenig Interessierte ziemlich unspektakulär, betrifft jedoch noch heute den innersten Wesenskern des Christentums. 

Konzil von Nizäa hat ein Bekenntnis geliefert, das auch im 21. Jahrhundert noch Bestand hat, das jedoch die Spannungen in der Verwendung und Deutung der beiden Bezeichnungen «Jesus» und «Christus» nicht ausblenden kann. Es handelt sich dabei nicht einfach um zwei Namen, sondern um zwei unterschiedliche Dimensionen: «Jesus» bezeichnet den historischen Menschen aus Nazareth, den jüdischen Wanderprediger, der um das Jahr 30 n. Chr. gekreuzigt wurde. Er war ein konkreter Mensch mit einer bestimmten Zeit, einem Ort und einer Biografie. «Christus» ist kein Nachname, sondern ein Titel: vom griechischen «Christos», was «der Gesalbte» bedeutet. Er bezeichnet die theologische Deutung Jesu als den von Gott gesandten Erlöser, den Sohn Gottes, den auferstandenen Herrn. Der Jude Jesus und der erhöhte Christus – bereits im Neuen Testament kann man beide Gestalten nicht voneinander trennen. Die theologische Debatte des Konzils von Nizäa hat diese Position bestärkt. Wer die Anfragen von damals ernst nimmt, wird Anknüpfungspunkte an heutige Diskurse finden. Jesus war nicht bloss ein charismatischer Anführer, denn im christlichen Glaubensverständnis ist er auch der Sohn Gottes. Es geht um nichts weniger als das Herzstück der christlichen Botschaft: Jesus gegen Christus oder Christus gegen Jesus, das darf auf keine Art und Weise eine Option sein. 

Herzliche Grüsse 

Reto Stampfli