
Yvonne Bieri-Häberling
Aussicht auf den Vierwaldstättersee von Morschach aus.
Innehalten
Aufmerksamkeit
Die Aufmerksamkeit besteht darin, sein Denken zu umgehen, den Geist verfügbar, leer und für den Gegenstand durchlässig zu halten, die verschiedenen bereits erworbenen Kenntnisse, die man zu nutzen genötigt ist, in sich dem Geist zwar nahe und erreichbar, doch auf einer tieferen Stufe zu erhalten, ohne dass sie den Geist berühren. Der Geist soll hinsichtlich aller eigenen und schon ausgeformten Gedanken wie ein Mensch auf einem Berg sein, der vor sich hinblickt und gleichzeitig unter sich – jedoch ohne hinzusehen – viele Wälder und Ebenen wahrnimmt. Und vor allem soll der Geist leer sein, wartend, nichts suchend, aber bereit, den Gegenstand, der in ihn eingehen wird, in seiner nackten Wahrheit aufzunehmen. Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten.
Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, Berlin 2020.