
Urban Fink-Wagner | Chefredaktor-Stellvertreter
Editorial
Faktenfreier Suggestivjournalismus
Journalismus in Bezug auf kirchliche Themen wird ganz unterschiedlich betrieben. Die einen richten sich nach den Pflichten für Journalistinnen und Journalisten des Schweizer Presserates, wo die Wahrheitssuche an erster Stelle steht, Betroffene angehört werden, Anstand kein Fremdwort ist und Journalisten als kritisch einordnende Berichterstatter tätig sind. Die zweite Variante besteht aus Akteuren, die in erster Linie Kirchenpolitik betreiben und die erwähnten Kriterien auf die Seite schieben, da ihnen Kirchenpolitik wichtiger erscheint als eine seriöse Berichterstattung.
Am 1. Juni 2025 beschrieb Raphael Rauch im «Sonntagsblick», dass «Bischof Gmür mauert» und «dem Vernehmen nach» den Aktenzugriff den von den Bischöfen, der RKZ und den Orden beauftragten Zürcher Professorinnen für die Detailstudie über den Sexualmissbrauch in der Kirche verweigere. Eine Woche später – zufälligerweise an Pfingsten – doppelte Rauch nach, dass «der oberste Katholik», der Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, die Bischöfe kritisiere. Am gleichen Tag erschienen – ebenso zufällig (?) – weitere Zeitungsartikel: Stefanie Pauli berief sich in der «NZZ am Sonntag» auf einen anonymen Gutachter, der mit Bischof Felix Gmür hart ins Gericht gehe, da der Letztgenannte «offenbar» die Herausgabe von Akten von neuen Fällen verweigere. Ausserdem machte sie den Basler Bischof für die Entlassung der Chefredaktorin des «Berner Pfarrblatts» verantwortlich, da diese ihm Verfehlungen nachgewiesen habe. Diese Hypothese wird auch gleichentags von Bernhard Ott im digitalen «Bund» bzw. der «Berner Zeitung» vertreten.
Liest man diese Zeitungsartikel genau, wird schnell klar, dass Vermutungen zu Fakten uminterpretiert werden, die ihrerseits wieder die Grundlage für neue Vermutungen bilden. Das Bistum Basel stellte denn auch in einer Medienmitteilung klar, dass ein solcher Journalismus einem Faktencheck nicht standhalte und nur Behauptungen und Verleumdungen übrig bleiben. Ausserdem hatte Bischof Felix Gmür in keiner Art und Weise etwas mit der Entlassung der Berner Chefredaktorin zu tun.
Der neue Redaktionsleiter von kath.ch, Stefan Betschon, der sich von gewissen Vorgängern wohltuend abhebt, charakterisiert die genannten fragwürdigen Zeitungsartikel als «Offenbarungsjournalismus», als ein Verwirrspiel zwischen Vermutungen und Fakten. Nötig aber wäre Recherchierjournalismus – der sich eben auf die Prinzipien des Schweizer Presserates stützt, wie oben erwähnt. Dass gleich mehrere grosse Schweizer Zeitungen solchen «Offenbarungsjournalismus» und nicht sorgfältige Recherche betreiben, ist bedenklich.
Bleibt noch der anonyme Kirchenrechtler, der sich als Parteigutachter in einen Interessenkonflikt mit einem seiner Arbeitgeber, der Schweizer Bischofskonferenz, verstrickt. Die Schweizer Bischöfe können den Anonymus vom Interessenkonflikt entlasten, indem sie einen der zwei Hüte des Kirchenrechtlers entfernen.
Mit frohen Sommergrüssen
Ihr Urban Fink-Wagner