Aktuelle Nummer 24 | 2025
16. November 2025 bis 29. November 2025

Editorial

«Warten auf Gott»

Amerikanische Spitäler, österreichische Hotels, englische Landschlösser oder Berliner Mehrfamilienhäuser sind ideale Schauplätze für erfolgreiche Fernsehserien; eine biedere Altersresidenz eher nicht. Sich aufopfernde Chefärzte, joviale Promis, umtriebiger Landadel oder rührige Frischverliebte sind ideale Darsteller in einer quirligen Soap; nörgelnde Pensionäre mit sarkastischem Humor eher nicht. Die aus den 1990er-Jahre stammende TV-Serie «Warten auf Gott», welche immer noch regelmässig über den Bildschirm flimmert und in verschiedenen Ländern adaptiert wurde, unternimmt jedoch den fast aussichtslosen Versuch, eine südenglische Altersresidenz zum Dreh- und Angelpunkt ihres Geschehens zu machen. Hier stehen nicht die Ewigjungen und Kerngesunden im Rampenlicht, sondern Menschen, deren eintöniges Leben fast nur noch Erinnerungen an vergangene Zeiten beinhaltet, die jedoch gar nicht gewillt sind, einfach so von der Bühne des Lebens abzutreten.

Gewisse Parallelen zu Samuel Becketts berühmtem Drama «Warten auf Godot» sind dabei nicht von der Hand zu weisen. Nicht nur der Titel der Serie lässt auf eine ähnliche Ausgangslage der Akteure schliessen; nein, die ganze Konstellation gleicht sich frappierend: Zwar heissen die Protagonisten in der englischen Altersresidenz «Bayview» nicht Estragon und Wladimir, doch Tom und Diana, zwei wackere Mittsiebziger, sind von den selben existenziellen Grundfragen geplagt. Das Sterben wird zum Dauerthema, ohne dass jedoch Trübsal und Konsternation im Mittelpunkt stehen würden. Die älteren Herrschaften plaudern während der Teatime über die Unausweichlichkeit des Todes und kennen keine Tabus, wenn es darum geht, sich gegenseitig im Gespräch reinen Wein einzuschenken. Trotz einigem Klimbim hat man in dieser TV-Produktion nicht das Gefühl, es werde lediglich Unterhaltung geboten. Das Älterwerden und der Tod verlieren ihren Stachel nicht. Die Akteure stehen, obwohl ihr Altersheim zweifellos einiges unterhaltsamer ist als die meisten solcher Institutionen im wirklichen Leben, auf dem festen Boden der Realität. Sie sprechen über den Tod, so wie sie auch über ihr Leben sprechen. Eine Qualität, die leider in unserer Gesellschaft oft zu kurz kommt oder ganz verschwiegen wird, auch wenn, wie jetzt während der kurzen, nebelschweren Tagen des Novembers, der Tod im Hintergrund seine unverrückbare Anwesenheit durchschimmern lässt.

Mit freundlichen Grüssen 
Reto Stampfli