Aha-Erlebnisse

Gedanken zum Sonntag: 21. Januar 2018 - Markus 1,14-20 

 

Es gibt Dinge, die bewirken, dass wir plötzlich alles mit anderen Augen sehen. Bei Franz von Assisi war es die Stimme vom Kreuz, die er in seinem Inneren vernahm. «Francesco, stelle mein Haus wieder her!» 

Als der brasilianische Bischof Dom Hélder Câmara von einigen Gläubigen benachrichtigt wurde, Diebe hätten den Tabernakel in ihrer Kirche aufgebrochen, die Kelche gestohlen und die geweihten Hostien mit Füssen getreten, war er schockiert. Dann, während der von ihm geleiteten Sühneandacht hat der Bischof plötzlich eine Erleuchtung: Wird Christus denn nicht auch in den Verarmten und Ausgebeuteten tagtäglich mit Füssen getreten?

Solche Schlüsselerlebnisse sind wie eine Offenbarung; mehr noch: Sie sind eine Offenbarung. Es handelt sich dabei um Erkenntnisse, die sich einfach aufdrängen, ohne dass wir sie erst mühsam erarbeiten müssten. Unsere Sprache bringt das bildhaft zum Ausdruck, etwa wenn wir sagen: Plötzlich ist mir ein Licht aufgegangen. Oder: Da hatte ich ein richtiges Aha-Erlebnis.

Damit meinen wir, dass sich uns eine bestimmte Sache plötzlich von einer ganz neuen Seite oder in einem ganz anderen Licht zeigt. Da ist beispielsweise eine Studentin, die eine Seminararbeit über die mittelalterliche Dichtung in Italien schreibt. Der Professor weist sie darauf hin, dass in diesem Zusammenhang auch dem Sonnengesang des Franz von Assisi grosse Bedeutung zukomme. Die Studentin, der dieser Name nicht ganz unbekannt ist, vertieft sich in die geschichtlichen Quellen und bringt so unter anderem in Erfahrung, dass der kleine Kaufmannssohn sein Geld unter die Armen verteilte, dass er den Vögeln predigte und am liebsten noch den Spinnen die Netze geflickt hätte. Der Mann war ein Narr, denkt sie. Irgendwann jedoch, sie weiss selbst nicht wie und weshalb, drängt sich ihr plötzlich eine ganz andere Einsicht auf: Der Mann war ein Heiliger!

Ähnliches ist offenbar auch den beiden Brüdern Simon und Andreas widerfahren, als Jesus sie von ihren Fischernetzen weg in seine Nachfolge berief und die beiden so zu «Menschenfischern» machte. Ein Wort Jesu genügt und mit Blick auf ihr bisheriges mühseliges Leben erkennen sie: Das kann doch nicht alles gewesen sein!

Schlüsselerlebnisse können wir nicht herbeiführen. Aber wir können die Konsequenzen daraus ziehen, wenn sie uns zuteilwerden. Immer handelt es sich um geschenkte Einsichten – und damit um eine Gabe. Und die beinhaltet auch eine Aufgabe.

 

Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der Seelsorge tätig.