Der Weg vom Tod ins Leben

Gedanken zum Sonntag, 18. März (Johannes 11,1-45)

Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus (Johannes 11,1-45) mag uns unglaublich erscheinen – aber nur solange wir uns aufs Historische fixieren. Dann lesen wir an der darin enthaltenen Botschaft vorbei.

Allen, die Mühe haben mit dieser Geschichte, empfehle ich, Schuld und Sühne von Dostojewski zu lesen, in welchem der russische Schriftsteller ausgerechnet die Lazarus-Episode in den Mittelpunkt stellt. Der Roman handelt von dem jungen und genial begabten Studenten Raskolnikow, der schliesslich aus reiner Experimentiersucht zum Mörder wird. Er will ergründen, ob er ‹eine Laus› ist oder ‹ein Napoleon›. Um das herauszufinden, muss er sich beweisen, dass er über allen moralischen Vorschriften steht. Dies wiederum kann er angeblich nur, indem er einen Menschen umbringt – einfach so. Er verkriecht sich in seinem engen Zimmer «wie in einem Sarg» (so der Dichter wörtlich). Nachts in seinen Träumen sieht er sich in einem Meer von Ungeziefer versinken. Irgendwann begegnet er einer blutjungen Dirne, Sonja, die gezwungen ist, auf die Strasse zu gehen, um ihre kleineren Geschwister ernähren zu können. Als Raskolnikow ihre verzweifelte Lage begreift, sieht er für sie nur drei Möglichkeiten: Entweder wird sie sich mit all dem Schmutz, mit dem sie konfrontiert ist, und all dem Ekel, den sie vor ihren Freiern empfindet, einverstanden erklären. Oder sie wird wahnsinnig werden. Oder sie wird sich umbringen. Aber Sonja tut nichts von alledem. Sie verfügt über ein Geheimnis, das mitzuteilen sie sich lange weigert. Als Raskolnikow aber weiter in sie dringt, schlägt sie schliesslich die Bibel auf. Gemeinsam lesen die Dirne und der Mörder die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus. Und beide verstehen, was Jesus ihnen sagt, wenn er ruft: «Lazarus, Lazarus, komm heraus!»

Angesprochen sind sie, Raskolnikow und Sonja. Und wir. Also alle, die diese Geschichte lesen oder hören. Sie ruft uns in Erinnerung, wie der Mensch vom Tod ins Leben gelangt. Vorausgesetzt natürlich, dass wir daran glauben, dass Jesus uns den Weg weist vom Tod ins Leben. Wenn wir das verstanden haben, haben wir begriffen, was der Evangelist mit der Lazarus-Geschichte sagen will. Nur: Was heisst für uns Tod? Und was Leben? Das hängt wohl immer von den konkreten Umständen ab. Was empfinden wir als bedrohlich, als leidvoll, als tödlich? Was empfinden wir bei dem Ruf «Lazarus, komm heraus»?

Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der Seelsorge tätig.