Bischof Felix stellt die Frauen ins Zentrum

Predigt von Bischof Felix Gmür anlässlich der Chrisam-Messe, am Montag, 15. April 2019, in der St. Ursenkathedrale Solothurn

Die Salbung in Betanien überliefern alle vier Evangelisten. Allen ist gemeinsam, dass es eine Frau ist, die Jesus salbt und dass dieser Vorgang Reaktionen, Fragen und Widerstand auslöste. Das lässt aufhorchen.

Eine Frau salbt Jesus die Füsse. Wer einem anderen die Füsse wäscht, kniet vor ihm nieder. Jesus tut dasselbe: Er erniedrigt sich, macht sich klein vor dem, der gross ist. In diesem Fall macht SIE sich klein vor dem, der gross ist. Vielleicht ist es ein Wink für die Salbungen, die wir vornehmen: Wir machen uns mit jeder Salbung klein vor dem, der gross ist. Denn nicht wir salben, sondern Christus salbt. Maria geht noch weiter: Sie salbt Jesus nicht nur die Füsse, sondern trocknet diese mit ihrem Haar ab. Das hat Spekulationen ausgelöst: Heute würde man vielleicht von einer Grenzüberschreitung sprechen. Jedenfalls drückt dieses Abtrocknen mit den Haaren Nähe aus - ja geradezu Intimität. Rudolf Schnackenburg sagt, es sei nicht nur ein äusserlicher Akt, sondern es handle sich bei der Salbung um einen religiösen, kultischen Vorgang, der auf einem Glaubensbekenntnis beruht. Maria vollzieht also einen kultischen Akt. Sie glaubt an den, der erhöht werden wird, indem sie sich erniedrigt, und sie erweist dem die Ehre, dem allein sie gebührt. Nun wissen wir, dass die Salbungen in der Tradition der Heiligen Schrift von offiziellen Autoritäten ausgeführt wurden. Was bedeutet es demnach heute für die Kirche, wenn eine Frau den Gesalbten salbt?

Weil an der Tat der Frau allen die Augen aufgehen und sich ihr Glaube entscheiden soll, gehört diese Salbung zur Verkündigung des Evangeliums. Dazu passt, dass verschiedene Ikonen Maria Magdalena, die schon früh mit Maria von Bethanien identifiziert wurde, mit Buch und Schriftrolle darstellen. Aber die Überlieferung ist ambivalent. Paulus nennt Maria von Magdala nicht. Im Mittelalter aber ehrt sie Thomas von Aquin, im Anschluss an das Johannesevangelium, als Apostolin der Apostel. Doch wurde Maria von Magdala auch mit der Sünderin von Lukas 7 und 8 identifiziert, und dieses Bild sollte sich an vielen Orten durchsetzen. Ein Beispiel haben wir in unserer Kathedrale, wo Maria mit Alabastergefäss und Totenschädel auf einem Beichtstuhl thront. So wurde Maria Madgalena immer mehr zum Urbild der Sünderin und zum Urbild derjenigen, die Vergebung empfängt, und dabei verschwand der Verkündigungsaspekt fast vollständig. Trotzdem ist wahr: 

Maria ist die erste Zeugin und Verkündigerin der Auferstehung. Und sie schafft zusammen mit den anderen Frauen ein Kontinuum. Es sind die Frauen - und nur die Frauen – die Kontinuität zwischen Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi garantieren. Nur sie waren dabei! Während andere – vor allem Männer – sich feige aus dem Staub machten.

Deshalb können wir mit geistlichem Gewinn zusammen mit Maria und den anderen Frauen die Kartage leben und mit ihnen in Ostern hineinbeten. Wir können lernen, dabei zu bleiben, mitzuleiden, mitzugehen, auszuhalten - und dann zu bezeugen. Wir können die Fusswaschung vom Hohen Donnerstagabend anders erfahren, wenn wir wissen, dass Maria Jesus die Füsse gesalbt hat. Wir werden die Kreuzigung und die Schmach des Todes von Jesus Christus anders erdulden, wenn wir mit Maria unter dem Kreuz stehen und nicht nur ferne Zuschauer bleiben. Wir können die Leere des Karsamstags besser aushalten, wenn wir uns gewahr sind, dass die Frauen - und vor allem die Magdalenerin - diesen Tag der Leere durchstanden haben. Und gerade weil sie ihn durchstanden haben, konnten sie nach Auskunft der Evangelien die ersten Zeuginnen der Auferweckung Jesu Christi sein.