Aktuelle Nummer 19 | 2024
08. September 2024 bis 21. September 2024

Der «Musikant Gottes» feiert seinen 200. Geburtstag

Nicht nur im Linzer Dom «brucknert» es im Jubiläumsjahr zu Ehren des berühmten Komponisten heftig. Etliche Konzerte, Ausstellungen und Publikationen widmen sich in diesem Jahr dem Leben und Werk Anton Bruckners und zeichnen ein neues Bild des Künstlers. Vor 200 Jahren, am 4. September 1824, wurde er im oberösterreichischen Ansfelden geboren.

Als «deutscher» Meister von den Nazis verehrt

Genie, Exzentriker, primitiver Provinzler – Bruckner erschien in den vergangenen 200 Jahren durch verschiedene Blickwinkel in vielen Facetten. So wurde er als «Musikant Gottes» bezeichnet; die Nationalsozialisten verehrten ihn als «deutschen» Meister. «Bruckner ist zum Mythos geworden», doch diesen könne man nun endlich vom Staub befreien, sagt die Wiener Musikwissenschaftlerin und Historikerin Elisabeth Theresia Hilscher.

Zu Bruckners 100. Geburtstags wurde er von den Schriftstellern Ernst Decsey und Victor Leon in ihrem Trivialstück «Der Musikant Gottes» als konservativ-katholischer und unterwürfiger Mensch dargestellt. 2021 gab es sogar Bestrebungen, Bruckner seligsprechen zu lassen.

Viele seiner Werke hat Bruckner mit dem Signum «O.A.M.D.G.» (»Omnia ad maiorem Dei gloriam») versehen. Was zu deutsch übersetzt heisst: «Alles zur grösseren Ehre Gottes». So hat ihn auch der Theologe Hans Küng zitiert. «Musik ist für ihn die Sprache des Herzens, und sein Herz hat zutiefst innerlich geglaubt,oft betete er beim Komponieren «Mein lieber Gott», schrieb Hans Küng über Bruckner.

Der Mythos vom «Propheten»

«Gott sei Dank hat die katholische Kirche hierfür insbesondere seit Papst Franziskus strenge Kriterien», erklärt Hilscher im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Zuschreibung «Musikant Gottes» stehe sie kritisch gegenüber. Der Mythos vom «Propheten», der seine Musik direkt von Gott empfangen habe, sage mehr über die Mythen-Erfinder aus als über Bruckner.

Geprägt von der Frömmigkeit seiner Zeit

«Bruckner war religiös und als Lehrerkind und Sängerknabe im Stift Sankt Florian im katholischen Oberösterreich von der Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts geprägt», räumt Hilscher ein. Ein klassischer Kirchgänger sei Bruckner aber nicht gewesen. In seiner zweiten Lebenshälfte, die der Komponist und Wagner-Fan in Wien verbrachte, habe er «still und heimlich im Privaten» gebetet. In schwierigen Zeiten betete er auch am Sterbebild seiner Mutter. «Er ging berufsbedingt in die Kirche, wenn er Orgeldienst hatte. Es ist aber nicht bekannt, dass er Andachten besuchte oder Wallfahrten machte.»

In der Rezeptionsgeschichte seiner Werke wurden Bruckners Frömmigkeit und ihr Einfluss auf sein musikalisches Schaffen kontrovers diskutiert. Der Musiker selbst hat sich nie zu dem Thema geäussert.

«Verschlossener Mensch»

«Bruckner war ein verschlossener Mensch», erklärt die Musikwissenschaftlerin und Theologin Elisabeth Maier dazu im KNA-Gespräch. Weil persönliche Glaubenszeugnisse – abgesehen von seinen akribisch geführten «Gebetsaufzeichnungen» – fehlten, interpretiere jeder Forschende das Thema durch seine eigene Brille, sagt Maier, die seit über 50 Jahren über Bruckner forscht. In ihrem Buch «Anton Bruckner», das im Oktober erscheint, will sie «faktenbezogene und klischeebefreite» Blicke auf sein Leben werfen.

«Verantwortung gegenüber einer höheren Instanz»

Klar ist derweil, dass Bruckner als Stiftsorganist von Sankt Florian und als Dom- und Stadtpfarrorganist in Linz ein angestellter Kirchenmusiker war, der grosse Messen, ein «Te Deum» und eine Vielzahl an liturgischen Einzelwerken komponierte. «Die grosse religiöse Linie in seinem Schaffen betraf, abgesehen von den Kirchenwerken, sein unglaubliches Arbeitsethos und Streben nach Vollkommenheit», erklärt Maier. Er habe versucht, sein Talent bestmöglich auszuschöpfen, weil er sich gegenüber einer höheren geistlichen Instanz verantwortlich gesehen habe.

Grosser Symphoniker

Der Musiker wollte vor allem als grosser Symphoniker verstanden werden, erklärt Hilscher. «Als Bruckner Mitte 40 war, stürzte er in eine tiefe Lebenskrise», beschreibt die Forscherin seine Entwicklung weg von der Kirchenmusik, der ihn von Linz nach Wien führte. «Die Kirchenmusik ist unter allen Musikrichtungen am stärksten reglementiert, denn es gilt, die Liturgie, ihre Längen und Abfolgen zu beachten.» Das sei wahrscheinlich der Grund, warum Bruckner sich in seiner zweiten Lebenshälfte von diesen Vorgaben mehr und mehr abwandte, bevor er am 11. Oktober 1896 in Wien starb.

«Das Korsett der Kirchenmusik war ihm zu eng, und er wollte sich musikalisch selbst verwirklichen», weiss Hilscher. Bruckners zuletzt komponierte Messe in F-Moll hätte in ihrer Überlänge jeden liturgischen Rahmen gesprengt. Und auch sein «Te Deum» sei für den Konzertsaal geschrieben worden.

Aktuelle Angebote rund um Bruckner

Musikalisch wird Bruckner derzeit insbesondere im Linzer Mariendom mit einer Reihe von Konzerten in die Gegenwart geholt – etwa beim «Ars Electronica Festival» vom 4. bis 8. September. Es versetzt Bruckner in ein «High-Tech-Labor», das mitten im Dom aufgebaut wird.

Ein Team aus Kunstschaffenden, Organisten, Informatikern und Physikern hat für das Orgelkonzert «BruQner – The Sound of Entanglement» eine Installation mit Lasern und optischen Effekten gestaltet. Dirigiert wird Bruckners «Perger Präludium» von verschränkten Photonen, die das Stück lenken, «wie es kein Mensch der Welt könnte», heisst es im Programm.

Im Stift Sankt Florian bei Linz läuft derzeit die Ausstellung «Wie alles begann. Bruckners Versionen», die auch Vorurteile und Fehldeutungen aus der älteren Bruckner-Literatur aufzeigt. Sie zeigt bis zum 27. Oktober eine Vielzahl von Dokumenten aus dem Stadtarchiv und gibt Einblick in die Lebens- und Schaffensstationen Bruckners. (kna)

*Buchempfehlung: «Anton Bruckner: Ein Leben mit Musik», von Felix Diergarten, Kassel 2024