Mehr Kirchenaustritte - weniger Taufen

Geht es um die Zahl ihrer Mitglieder, kann sich die katholische Kirche in der Schweiz nach wie vor glücklich schätzen. Verantwortlich für das «historische Hoch» ist laut dem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut die Zuwanderung. Dessen aktuelle Kirchenstatistik zeigt aber auch, dass die Taufe innerhalb der katholischen Bevölkerung zunehmend hinterfragt wird.

 

Noch immer ist die römisch-katholische Kirche die grösste Religionsgemeinschaft der Schweiz. Ihr Anteil an der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren machte 2017 35,9 Prozent aus, wie der neusten Kirchenstatistik des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) zu entnehmen ist. Das entspricht rund 2,5 Millionen Katholiken. Rechnet man die Menschen hinzu, die jünger als 15 Jahre sind oder nicht in Privathaushalten leben, erreicht die katholische Kirche einen Mitgliederbestand von zirka 2,9 Millionen Menschen, schreibt das SPI in seinem Bericht zur neusten Kirchenstatistik, die es am Dienstag auf seiner Webseite veröffentlichte.

38 Prozent der Katholiken mit ausländischen Wurzeln

Grund dafür sei vor allem die Zuwanderung von Gläubigen aus dem Ausland. Laut Statistik haben im Jahr 2017 38,4 Prozent der katholischen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren einen Migrationshintergrund, der Ausländeranteil beträgt bei den Katholiken 24,3 Prozent. Bei den Reformierten verfügt hingegen nur knapp jeder Zehnte über einen Migrationshintergrund, und der Ausländeranteil liegt bei tiefen 4,6 Prozent.

Das von der katholischen Kirche getragene Forschungsinstitut macht jedoch darauf aufmerksam, dass nebst der Migration zwei weitere Faktoren für die Veränderung der Mitgliederzahl mitentscheidend seien: Zum einen die Kirchenaustritte und zum andern das «Taufverhalten katholischer Eltern».

Entfremdung kommt vor dem Austritt

Das SPI stellt nämlich fest, dass ein Kirchenaustritt «fast immer» am Ende eines schon längeren Entfremdungsprozesses von der Kirche steht. Eine Entfremdung zeigt sich zum Beispiel, wenn Kirchenmitglieder auf den Empfang von Sakramenten verzichten. Dies sei «oft ein Zeichen für eine  innere Entfremdung von der Kirche – auch dann, wenn dies noch lange nicht zu einem Kirchenaustritt führen muss», schreibt das SPI.

Katholiken treten nicht mehr automatisch vor Traualtar

Das Institut dokumentiert den Entfremdungsprozess mit seiner Statistik zum Sakramentenempfang. Seit 2013 ist etwa die Zahl katholischer Trauungen um zirka 20 Prozent auf 3200 im Jahr 2018 gesunken. Im Verhältnis zur Zahl der Ziviltrauungen in der Schweiz mit katholischer Beteiligung – also mit mindestens einer katholischen Person – erreichte die katholische Kirche im Jahr 2018 noch eine Trauquote von 22 Prozent, heisst es im Bericht zur Kirchenstatistik.

Eine kirchliche Eheschliessung sei für Katholikinnen und Katholiken keine Selbstverständlichkeit mehr, folgert das SPI. Dasselbe gelte für die Taufe der Kinder. Das hat Einfluss auf die Mitgliedschaft: «Wenn katholische Eltern ihr Kind nicht mehr taufen lassen, dann ist eine Kirchenmitgliedschaft schon beendet, bevor sie beginnen konnte.»

Rückgang der Taufen um 11 Prozent seit 2013

Die Zahl der katholischen Taufen ist laut SPI zwischen 2013 und 2018 um 11 Prozent gesunken. 2018 wurden 18’568 Menschen katholisch getauft. Dies entspreche zirka 21 Prozent der Geburten in der Schweiz. Das Institut findet, der Anteil von 21 Prozent katholisch getaufter Kinder liege signifikant unter dem Anteil der katholischen Bevölkerung von knapp 36 Prozent im Jahr 2017.

«Grobe Schätzungen und Modelle erlauben die These, dass die Weitergabe der Kirchenmitgliedschaft an die Kinder heute bei rund 20 bis 50 Prozent der Kinder nicht mehr geschieht», schreibt das SPI. Ähnlich sieht es in diesem Bereich bei der evangelisch-reformierten Kirche aus.

In Bistümern Chur und LGF wird noch jedes zweite Kind getauft

Die Kirchenstatistik zeigt anhand der Taufquoten zudem auf, dass die Weitergabe der Kirchenmitgliedschaft in der Familie in den Sprachregionen unterschiedlich gelingt. Dabei stellt das SPI «beachtliche» Unterschiede zwischen den Bistümern und Sprachregionen fest.

Während in den Bistümern Lugano und St. Gallen derzeit zirka acht von zehn Kindern getauft werden, sind es im Bistum Sitten zirka sieben und im Bistum Basel zirka sechs von zehn Kindern. Die tiefsten Raten zeigen die Bistümer Chur und Lausanne-Genf-Freiburg (LGF). Dort wird ungefähr jedes zweite Kind innerhalb der katholischen Bevölkerung getauft. Es falle zudem auf, dass diese Rate, mit Ausnahme des Bistums Lugano, innerhalb der letzten Jahre gesunken ist.

Verzicht auf Taufe  – eine neue Entwicklung

Das Institut folgert aus den Zahlen, dass die Taufe innerhalb der katholischen Bevölkerung «zusehends hinterfragt wird». Zwar werde die Mehrheit der Kinder innerhalb der katholischen Bevölkerung immer noch getauft, «den Charakter der Selbstverständlichkeit hat die Taufe jedoch in vielen Regionen der Schweiz verloren». Diese Entwicklung bezeichnet das SPI als «relativ neu». Sie deute auf eine «gewachsene Fragilität» der Mitgliederbindung in der katholischen Kirche hin.

Für das SPI drängt sich trotz anhaltend hoher Mitgliederzahl der katholischen Kirche das «Bild einer inneren Erosion der Kirchlichkeit» auf, schreibt es in einem Fazit am Schluss des Berichts. Die Zahl der Priesterweihen und der Beichte seien schon lange auf «sehr niedrigem Niveau messbar» und die Zahl der katholischen Eheschliessungen sinke seit längerer Zeit kontinuierlich.

Entwicklung wird auf Mitgliederbestand durchschlagen

Weil es nun in den letzten Jahren auch zu einem Rückgang der Taufen gekommen ist, spricht aus Sicht des SPI vieles dafür, dass sich die fragil gewordene Kirchenbindung über kürzere oder längere Zeit auch auf die Mitgliederzahlen durchschlagen wird.

Der Bericht des SPI endet mit einigen Empfehlungen zuhanden der Verantwortlichen in der Kirche. So soll etwa in die Bindung von Mitgliedern investiert werden, die bereits auf Distanz zur Kirche gegangen sind. Diese seien im Prinzip noch gut ansprechbar, ist das SPI überzeugt und mahnt gleichzeitig: «Allerdings müssen ihre Bedürfnisse und ihr Selbstverständnis genau verstanden werden.» Etwa das Bedürfnis nach Autonomie in Fragen von Religion und Lebensgestaltung. Oder das Selbstverständnis vieler entfremdeter Kirchenmitglieder.

Dankbarkeit gegenüber Kirchendistanzierten

«Distanzierte wollen sich oft nicht aktivieren lassen. Sie sehen in ihrem Verhalten keinerlei Defizit, sondern den Normalfall schweizerischer Religiosität», schreibt das SPI. Das Institut hält es für sinnvoll, ihnen gegenüber Dankbarkeit für das Bezahlen von Kirchensteuern oder für die «Restsympathie» zu betonen.

 

Im vergangenen Jahr sind schweizweit 25’366 Menschen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten – ein Viertel mehr als im Jahr 2017. Das zeigt die am Dienstag veröffentlichte Kirchenstatistik 2018. Grund für die markante Zunahme sind unter anderem Berichte über sexuellen Missbrauch.

 

Nebst Befunden, die auf eine schwächere Bindung der Katholiken an ihre Kirche hinweisen, zeigt die vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) erhobene Kirchenstatistik 2018 erhöhte Austrittszahlen. Während die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche 2017 schweizweit bei 20’014 lag, ist sie 2018 um einen Viertel auf 25’366 angestiegen.

Mehr Austritte als 2010

Dieser «sprunghafte Anstieg» dürfte vor allem als Reaktion auf zahlreiche Berichte über sexuellen und geistlichen Missbrauch sowie über unzureichende kirchliche Reaktionen in der katholischen Kirche weltweit zu verstehen sein, schreibt das SPI in einem analysierenden Bericht zur aktuellen Kirchenstatistik, die es am Dienstag auf seiner Webseite veröffentlichte. Die Zahl der Austritte sei sogar noch höher als 2010. Auch damals kam es zu einer Austrittswelle wegen Berichten über Missbrauch in der Kirche.

Jahrelange Entfremdung

Das Forschungsinstitut spricht in diesem Zusammenhang von «anlassbezogenen Austrittswellen», die in manchem Jahren zu einer langsam steigenden «Sockelerosion» hinzukommen. «Die Sockelerosion im Mitgliederbestand meint eine vergleichsweise geringe und nur sehr langsam steigende, aber doch regelmässige Quote an jährlichen Kirchenaustritten», erklärt das SPI in seinem Bericht zur Kirchenstatistik. Die Sockelerosion betrage seit einigen Jahren etwas weniger als ein Prozent der Kirchenmitglieder.

Hier liege «eine jahrelange, manchmal über Generationen verfestigte Entfremdung» von der Kirche vor. Der Kirchenaustritt sei dann meistens Ausdruck einer «persönlichen Kosten-Nutzen-Bilanz», so das SPI.

Langzeitvergleiche zeigen Spitzenwerte

In absoluten Zahlen sind 2018 im Kanton Zürich am meisten Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, nämlich 5801. An zweiter Stelle steht der Kanton Aargau mit 4093 Austritten. Über 2000 Austritte wurden in den Kantonen Bern (2003), Luzern (2508) und St. Gallen (2384) verzeichnet.

Die Erhebungen zeigen für manche Kantone Daten über einen längeren Zeitraum hinweg. Im Kanton Zürich etwa zeigt sich, dass Ende der 1980er Jahre erstmals ein starker Anstieg der Austritte aus der katholischen Kirche zu verzeichnen war, wie das SPI zur entsprechenden Statistik schreibt. Danach seien die Austritte mit Schwankungen relativ stabil geblieben. Vor allem 2010 habe dann die Zahl der Mitglieder, die die Kirche verliessen, erneut stark zugenommen. 6161 Menschen kehrten der Kirche damals den Rücken.

Eine ähnliche Entwicklung gab es auch im Kanton St. Gallen, wie eine weitere Statistik zeigt. In den Jahren 2010 und 2018 gab es zudem den Kantonen Aargau, Luzern, Bern, Thurgau und Jura teils markante Spitzenwerte bei den Austritten aus der katholischen Kirche.

Basel-Stadt hat die höchste Austrittsrate, sowohl bei der römisch-katholischen als auch bei der evangelisch-reformierten Kirche, gefolgt von Solothurn. 

Ältere treten wegen Stellungnahmen der Kirche aus

Laut dem SPI sind die Gründe für einen Kirchenaustritt vielfältig. Die wichtigsten seien fehlender oder verlorener Glaube, öffentliche Stellungnahmen der Religionsgemeinschaften und «andere» Gründe. Dabei zeigten sich Unterschiede zwischen den Alterskategorien, schreibt das Institut auf seiner Webseite. «Während jüngere Menschen angeben, keinen Glauben zu haben oder diesen verloren zu haben, geben Menschen zwischen 40 und 75 Jahre an, dass sie mit den öffentlichen Stellungnahmen ihrer Religionsgemeinschaft unzufrieden waren.»

Auch bei Reformierten mehr Austritte

Die Kirchenstatistik zeigt weiter, dass besonders viele Personen die Kirche im Alter zwischen 25 und 34 Jahren verlassen. In einem Alter also, in dem viele junge Erwachsene einen eigenen Haushalt gründen und erstmals richtig Steuern bezahlen, wie das SPI festhält.

Die Kirchenstatistik zeigt, dass auch die reformierte Kirche in der Schweiz 2018 einen Anstieg der Austrittzahlen hinnehmen musste. Dieser lag mit 21’751 Kirchenaustritten knapp zehn Prozent über den Zahlen des Vorjahrs, so das SPI in seinem Bericht.

In einer Statistik mit Zahlen zum Kanton Zürich vergleicht das Forschungsinstitut die Austritte der römisch-katholischen und der evangelisch-reformierten Kirche. Es stellt fest: «In den letzten 25 Jahren lagen die Kirchenaustrittsquoten der beiden grossen Landeskirchen weitgehend gleichauf.»

Skandale bei Katholiken veranlassen Reformierte zum Austritt

In den Jahren zwischen 1990 und 1997, 2009 und vor allem 2010 und 2018 hätten hingegen deutlich mehr Katholiken als Reformierte ihre Kirche verlassen. Das waren Jahre, die von Auseinandersetzungen – um den Churer Bischof Wolfgang Haas oder die Piusbrüder – oder von Missbrauchsskandalen geprägt waren. Diese Konflikte und Skandale tangierten allerdings auch die evangelisch-reformierte Kirche im Kanton Zürich. «Erstaunlicherweise» hätten in diesen Jahren auch die reformierten Austritte zugenommen, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie bei der katholischen Kirche, schreibt das SPI zu dieser Statistik.