Schwere Vorwürfe gegen den damaligen Kardinal Ratzinger

Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche sind neue Details über das Handeln des früheren Papstes Benedikt XVI. und des Münchner Kardinals Reinhard Marx ans Licht gekommen. Der Vorwurf: Der emeritierte Papst habe damals einen Priester aufgenommen, von dessen sexuellen Vergehen er gewusst habe.

Das hat die Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» nach Recherchen publiziert. Die Zeitung beruft sich dabei auf ein Dekret eines Münchner Kirchengerichts von 2016. Im Zentrum der Vorwürfe steht der Umgang mit einem Essener Diözesanpriester, der nach sexuellen Vergehen an Minderjährigen 1980 nach München geschickt wurde. Ratzinger, damals Münchner Erzbischof, habe von der Sachlage gewusst und der Aufnahme von Peter H. zugestimmt.

Gänswein weist Vorwürfe zurück

Mehrere Bischöfe, darunter auch Ratzinger, hätten «bewusst auf eine Sanktionierung der Straftat verzichtet». Auf Nachfrage der «Zeit» wies Erzbischof Georg Gänswein diese Behauptungen im Namen von Benedikt XVI. als falsch zurück. Dieser habe zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters keine Kenntnis von den Vorwürfen sexueller Übergriffe gehabt.

Auch Kardinal Marx in der Kritik

Die beiden Kirchenrechtsprofessoren Norbert Lüdecke (Bonn) und Bernhard Anuth (Tübingen) werfen in einem «Zeit»-Interview auch Kardinal Marx Pflichtverletzungen im Umgang mit dem Missbrauchstäter vor. Dieser habe 2008 zwar eine psychiatrische Begutachtung des inzwischen vorbestraften Pfarrers beauftragt und ihn versetzt, aber keine interne Voruntersuchung angeordnet und den Fall auch nicht an den Vatikan gemeldet.

In der Woche vom 17. und 21. Januar wird die Veröffentlichung eines Gutachtens der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising erwartet. Es wurde von der Bistumsleitung in Auftrag gegeben und umfasst auch die Amtszeit von Marx. Die Anwälte sollen dabei auch Verantwortliche für eine mögliche Vertuschung benennen. (kna)

4. Januar, 17.00 Uhr: Die Aussage Gänsweins wurde präzisiert.

 

Hans Zollner: Der Kirche fehlt nach wie vor Mut zu Transparenz und Verantwortung

Der Jesuit Hans Zollner (55) hat die Missbrauchsprävention zu seinem Lebensthema gemacht. Vor zehn Jahren hat er in München ein Institut gegründet, seit 2014 ist er in Rom. Zeit für eine Zwischenbilanz.