Vor 25 Jahren legte Hans Küng den Grundstein zur Stiftung Weltethos

Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich die Stiftung Weltethos für interreligiösen Dialog, Frieden und Wertedebatten ein. Gründer der Stiftung ist der Schweizer Theologe Hans Küng. Kath.ch sprach mit Dr. Stephan Schlensog, dem Geschäftsführer der Stiftung Weltethos.

Michael Jacquemain (kath.ch): Bis 1993 stand mit Hans Küng der Ideengeber selbst an der Spitze der Stiftung. Wie geht es ohne ihn?

Schlensog: Die Frage kommt immer wieder. Es geht sehr gut. Die Stiftung ist ja nicht Küngs Nachlassverwalter: Wir entwickeln die von ihm grundgelegten Ideen weiter, erschließen neue Zielgruppen. Manche junge Mitarbeiterinnen kennen Küng persönlich kaum oder gar nicht, aber alle setzen sich mit ihm in ihrer täglichen Arbeit intellektuell auseinander.

Hat sich das Frageinteresse nach einem religiösen Grundkonsens nicht in Zeiten überholt, in denen die grössere Bedrohung von Despoten und Spaltern wie etwa Trump, Putin, Orban, Lukaschenko, Erdogan, Johnson und Bolsonaro auszugehen scheint?

Schlensog: Je grösser die Not, desto grösser der Bedarf. In unseren immer komplexer werdenden Gesellschaften brauchen wir mehr denn je gemeinsame Spielregeln, an die sich alle halten. Wie soll sonst ein gelingendes Miteinander in Vielfalt möglich sein? Wir arbeiten ja gerade gegen die Spalter, indem wir Menschen zu befähigen versuchen, gut und verantwortungsvoll miteinander zu leben. Das ist eine bleibende Aufgabe, für die schon im Kindergarten die Grundlagen gelegt werden müssen. Unsere Themen sind also wichtiger denn je.

Die Zeit des Mauerfalls, als Küng 1990 mit viel Hoffnung sein Buch «Projekt Weltethos» geschrieben hat – die gibt es nicht mehr. Trotzdem bleiben die Fragestellungen aktuell, wenn man sie nicht auf interreligiösen Frieden beschränkt. Wir sprechen heute vom Dreiklang Frieden, Dialog, Werte.

Bisweilen wird der Vorwurf erhoben, die Weltethos-Idee sei eurozentrisch.

Schlensog: Wenn ich mich an 2018 erinnere, als 8.300 Menschen aus allen Ecken der Welt zum Parlament der Weltreligionen nach Toronto gekommen sind, das ganz unter dem Thema Weltethos stand, dann kann ich das nicht teilen.

Wie feiert die Stiftung in diesen Zeiten Jubiläum?

Schlensog: Natürlich auch sehr gebremst. Wir planen eine kleine Festveranstaltung, und aktuell entwickeln wir eine Social-Media-Kampagne. Unsere Botschaft heißt: Leute, es gibt Möglichkeiten, etwas für eine bessere Gesellschaft zu tun! Jeder kann etwas beitragen. Der Wunsch junger Menschen, sich für Wandel zu engagieren, ist sehr groß. Das wollen wir im Jubiläumsjahr unterstützen.

Welche Erwartungen waren vor 25 Jahren mit der Gründung der Stiftung verbunden?

Schlensog: Am Anfang hatten wir selbst kaum konkrete Vorstellungen. Als Hans Küng kurz vor seiner Emeritierung an der Universität Tübingen stand, machte ihm der Unternehmer Karl Konrad Graf von der Groeben das Angebot, die Arbeit an der Idee des Weltethos langfristig zu sichern. Eines seiner zentralen Motive war, junge Menschen zu erreichen und sie für Wertevermittlung zu interessieren.

Wo steht die Stiftung heute?

Schlensog: Thematisch geht es im Kern um interreligiösen Dialog und Wertebildung. Das von der Stiftung 2012 gegründete Weltethos-Institut an der Uni Tübingen befasst sich mehr mit Wertfragen in der Wirtschaft.

An welchen konkreten Projekten arbeitet die Stiftung?

Schlensog: Eines sind beispielsweise die Weltethos-Schulen. Bislang haben wir in Deutschland zwanzig mit diesem Titel zertifiziert. Das sind Schulen, bei denen das Thema nicht nur in den Lehrplänen vorkommt, sondern die die Werte auch im Schulalltag verankern wollen. Zum Beispiel durch einen respektvollen Umgang zwischen Eltern, Schülern und Lehrern und durch einen konstruktiven Umgang mit kultureller Vielfalt. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt worldlab, bei dem junge Menschen unterschiedlicher Herkunft ihre gemeinsamen Werte entwickeln und auf dieser Grundlage ein gemeinsames Projekt für ihr Umfeld konzipieren und umsetzen.

Hans Küng

Hans Küng, geboren 1928, ist ein Schweizer Theologe, römisch-katholischer Priester und Autor. Von 1960 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 war er Theologie-Professor an der Eberhard Karls Universität im südwestdeutschen Tübingen, zuletzt für Ökumenische Theologie. Bis März 2013 war er Präsident der von ihm mitgegründeten Stiftung Weltethos. Am 23. Oktober besteht die Stiftung ein Vierteljahrhundert. Schwerpunkt der 1995 gegründeten Stiftung ist heute die Bildungsarbeit – beispielsweise in Kindergärten und Schulen. Hauptsächlich geht es um Fragen des interreligiösen Dialogs und Wertevermittlung. Im Stiftungsteam arbeiten 13 Personen fest angestellt, davon 5 projektbezogen. (kna)