Alfred Bodenheimer: Man kennt diese völkische Haltung aus der Geschichte
Einiges wurde inzwischen gegen diesen Vorwurf ins Feld geführt: dass die Musikkultur der Moderne ohne kulturelle Aneignung gar nicht existieren würde, dass genau das Vorstossen in andere kulturelle Welten deren Akzeptanz andernorts vermehren würde, dass auch erst so die wirklich spannenden Synthesen entstünden, die Kultur weiterbrächten und deren Spannung erzeugten.
All diese Argumente sind zwar richtig – in ihrer Defensivität aber enthüllen sie ein Unverständnis für das wahre Skandalon des Vorwurfs, Angehörige bestimmter Kulturen, Hautfarben oder Ethnien hätten nicht das Recht, eine Vorliebe für bestimmte Kleider, Musikstile oder Frisuren zu pflegen, die ihnen ‹fremd› seien.
Man nennt eine solche Haltung völkisch, und man kennt sie aus der Geschichte. Nach 1933 wurden jüdische Künstlerinnen und Künstler mit sofortiger Wirkung von Theater- und Orchesterbühnen oder Dirigentenpulten entfernt. Sie seien nicht befugt, Werke ‹deutscher› Komponisten oder Dichter zu interpretieren.»
Alfred Bodenheimer in einem Kommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Freitag. Bodenheimer ist Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel. (bal)