Detlef Hecking zur Pastoralraumstudie: «Leitungspersonen schätzen die Ergebnisse positiver ein»
Weshalb haben Sie die Studie in Auftrag gegeben?
Detlef Hecking: Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Pastoralräumen haben viel Zeit und Herzblut investiert beim Aufbau der Pastoralräume. Ebenso die Verantwortlichen in den Kirchgemeinden. Das wollten wir anerkennen und wertschätzen. Mit der Studie wollten wir eruieren, wie der Prozess gelaufen ist und wie die Pastoralräume funktionieren. Auch kritische Stimmen während der Pastoralraumbildung bewogen uns zu diesem Schritt.
Wieso haben Sie das extern evaluieren lassen?
Hecking: Wir haben den Prozess bewusst nicht selber untersucht, sondern dem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut SPI den Auftrag dafür vergeben. Es ging uns um einen unabhängigen Blick von aussen auf den Errichtungsprozess.
Was sind die hauptsächlichen Erkenntnisse daraus?
Hecking: Wir lesen daraus: Erstens: Die Pastoralräume beginnen ab etwa fünf Jahren nach der Errichtung gut zu funktionieren. Zweitens: Die Leitungspersonen schätzen die Ergebnisse positiver ein. Sie sind näher am Prozess und können sich besser damit identifizieren als andere Mitarbeitende in der Pastoral. Und drittens: Die Pastoralräume vom Typ B erreichen die Ziele im Durchschnitt besser als jene vom Typ A.
Was sind das für Pastoralraum-Typen?
Hecking: Bei Pastoralräumen vom Typ B übernimmt die Pastoralraumleitung gleichzeitig die Leitung aller Pfarreien. Beim Typ A gibt es neben der Pastoralraumleitung zusätzlich je eine separate Leitung für jede Pfarrei.
Also ist die zentralisiertere Form, Typ B, besser?
Hecking: Das würde ich nicht so formulieren, denn ich möchte die beiden Typen nicht gegeneinander ausspielen. Die Studie besagt: Im Pastoralraum Typ B kann die Leitung besser an einem Strang ziehen, weshalb sie Ziele leichter erreicht. Das SPI empfiehlt deshalb zu prüfen, ob alle Pastoralräume auf Typ B umgestellt werden sollten. Die Meinung teilen wir aber nicht unbedingt.
Weshalb wollen Sie den Typ A nicht aufgeben?
Hecking: Pastoralräume vom Typ A bieten den Pfarreien mehr Autonomie, was teilweise auch sinnvoll ist. Ausserdem arbeiten die beteiligten Pfarreien erfahrungsgemäss gut zusammen, insbesondere in Städten wie Basel, Bern und Luzern, die als Typ A organisiert sind.
Sie stellen die Ergebnisse bistumsintern vor. Wie sind die Reaktionen?
Hecking: Wir haben die Studie im Januar in der Diözesanen Konferenz der Leitungspersonen der Pastoralräume vorgestellt. Und im Februar in den Räten der Priester, Diakone, Theologinnen und Theologen. Dort wurde es begrüsst, dass wir diese Auswertung vorgenommen, öffentlich gemacht und nach Reaktionen gefragt haben. Wir werden die Ergebnisse in weiteren diözesanen Gremien diskutieren. Auch alle staatskirchenrechtlichen Gremien, die am Errichtungsprozess beteiligt waren, haben die Studie erhalten.
Was hat Sie überrascht an den Ergebnissen?
Hecking: Positiv überrascht hat mich, dass die Umstellung bereits nach fünf Jahren zu greifen beginnt und zu einer echten Verbesserung der Arbeit vor Ort führt. Die Bildung eines Pastoralraums ist ein grosser Transformationsprozess, bei dem die Lebensrealität und Orientierung der Menschen vor Ort berücksichtigt werden müssen.
Er verändert auch Vorstellungen von Kirche und Pfarrei. Ein solcher Prozess braucht Zeit. In den diözesanen Gremien hiess es vorgängig: «Das dauert mindestens 20 Jahre …» Nicht überraschend, aber trotzdem wichtig ist: Die externe Unterstützung durch Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter vor Ort war sehr hilfreich.
Laut Studie ermöglichen Pastoralräume nicht mehr Nähe der kirchlichen Mitarbeitenden zu den Gläubigen…Gibt es nicht sogar mehr Distanz – wegen den grösseren Aktionsradien?
Hecking: Mit dieser Studie haben wir vorerst nur die Struktur unter die Lupe genommen. Diese allein bewirkt keine Nähe zu den Menschen. Dafür braucht es die Pastoral, die natürlich am besten nah am Menschen ist. Und dies ist eine Herausforderung, nicht nur in Pastoralräumen.
In den Beratungen in den diözesanen Gremien sprach jemand davon, es brauche «pastorale Orte», an denen ein wärmendes und ausstrahlendes Feuer des Glaubens brennt. Solche Orte zu entdecken und zu fördern ist eine wichtige Aufgabe eines Pastoralraumteams.
Wir sind daran, auch die Pastoral weiterzuentwickeln, ausgehend von unseren diözesanen pastoralen Schwerpunkten. Daran werden wir weiterarbeiten, etwa an der synodalen Versammlung unseres Bistums im September. Die Errichtung der Pastoralräume ist ein Teilaspekt des Pastoralen Entwicklungsplans unseres Bistums (PEP), den wir seit 2006 verfolgen. Erschwerend ist bei alledem allerdings, dass die Kirche in den letzten Jahren an Resonanz verloren hat.
Welche pastoralen Chancen bringen Pastoralräume?
Hecking: Sie ermöglichen es, Lebensraum-orientierte Pastoral zu machen. Menschen in kleineren Dörfern haben zum Teil andere Bedürfnisse als Menschen in einem Büroquartier oder in der Stadt. Das sollte sich in der Pastoral widerspiegeln.
Eine weitere Chance von Pastoralräumen ist, dass sich die Pastoral «diversifizieren» kann: Die eine Pfarrei legt vielleicht einen Schwerpunkt auf Eucharistiefeiern oder Meditation, die andere auf sozialpolitisches Engagement und Diakonie, die nächste auf Kirchenkonzerte und wieder eine andere auf Bibelarbeit.
Der Vorteil dabei ist: Nicht jede Pfarrei und jeder «pastorale Ort» muss dasselbe machen. Erst alle Angebote zusammen im Pastoralraum ergeben ein umfassendes Bild davon, wie Kirche lebt. Die Gläubigen können dort mitwirken, wo etwas für sie Interessantes, Wichtiges passiert.
Laut Studie gibt’s kaum neue Pfarrei-übergreifende Angebote, die sich an eine Zielgruppe wenden würden. Weshalb?
Hecking: Das ist nicht ganz richtig. In der Jugendarbeit und in der Katechese hat sich zum Beispiel schon einiges geändert. Heute haben wir da viel mehr Kooperation über die Pfarreigrenzen hinweg. Auch die Zusammenarbeit mit anderssprachigen Gemeinschaften scheint sich zu verbessern. Nach etwa fünf Jahren Pastoralraum werden solche Kooperationen angegangen.
Helfen Pastoralräume gegen Personalknappheit?
Hecking: Die Personalknappheit ist ein echtes Problem. Stellen können teilweise nicht besetzt werden, es gibt Vakanzen, das ist schwierig für alle. Aber selbst mit Vakanzen lässt sich in Pastoralräumen besser umgehen als im früheren System einzelner Pfarreien. Denn so lassen sich Stellvertretungen und eine Zusammenarbeit einfacher organisieren. Mitarbeitende der einen Pfarrei können bei der anderen einspringen. Und selbst wenn es Vakanzen gibt, profitieren die Menschen im Pastoralraum von den Angeboten im ganzen Raum. Schwierig bleibt die Situation dennoch.
Ein diözesaner Pfarrer hat im Buch «Als Giesskannenpfarrer unterwegs» kritisiert, er renne von Pfarrei zu Pfarrei und sei nirgends zuhause. Kam dieses Problem zur Sprache?
Hecking: Solche Stimmen kamen in den Beratungen auch zu Wort.
Weshalb ist die Basis nicht befragt worden – also die Kirchgängerinnen und Kirchgänger?
Hecking: Die Studie hat den Prozess der Pastoralraum-Errichtung unter die Lupe genommen. Befragt wurden alle, die in aktiver Rolle daran beteiligt waren. Also pastorale Mitarbeitende, die Vertreterinnen und Vertreter der staatskirchenrechtlichen Gremien auf Pastoralraum-Ebene sowie die Exekutiven der Kantonalkirchen. Kein Thema war dabei die Qualität der Pastoral. Dies zu untersuchen, haben wir bisher nicht vorgehabt. Es gibt aber einzelne Pastoralräume, die solche Befragungen vornehmen.
Was geschieht nun mit den Resultaten?
Hecking: Sie werden weiter in den Gremien und unter Pastoralraum-Leitungspersonen diskutiert. Dabei kommt Bewegung auf. Wir sprechen dabei auch über Teamentwicklung, Zusammenarbeit und hilfreiche Führungsmodelle. Und auch darüber, wie Innovation in der Pastoral gefördert werden kann. Für die Umsetzung von alledem haben wir bisher keinen festen Zeitplan. Welche nächsten Schritte sinnvoll und machbar sind, hängt stark von der konkreten Situation und von der Prioritätensetzung unserer Kolleginnen und Kollegen vor Ort ab.
Diese Fragen kommen zum Beispiel auch während Pastoralbesuchen zur Sprache. Daran beteiligen sich jeweils Bischof Felix Gmür – und bald Weihbischof Josef Stübi – eine oder einen Regionalverantwortlichen des Bistums und jemand von unserer Abteilung Pastoral. Diese Woche geht es in den Pastoralraum Berner Oberland. (korrigiert, 17.3.23)