Aktuelle Nummer 23 | 2025
02. November 2025 bis 15. November 2025

Gott suchen und finden: Ökumenisches Projekt lädt zu Grossen Exerzitien im Alltag

Vor vier Jahren feierte das Bistum St. Gallen seinen 175. Geburtstag. Zu diesem Anlass wurden Grosse Exerzitien für die Gläubigen angeboten. Die Unterlagen dazu hatte damals die St. Galler Seelsorgerin Hildegard Aepli gemeinsam mit Ruth Rohde entwickelt. Nun werden die Grossen Exerzitien im Alltag zum ersten Mal in einem schweizweiten ökumenischen Projekt durchgeführt, wie das Bistum jüngst in einem Communiqué mitteilte.

Neuer Zugang zum Glauben

«Die Grossen Exerzitien im Alltag laden dazu ein, im Alltag Spiritualität und Gott zu suchen und zu finden», heisst es in der Mitteilung. Sie sollen demnach helfen, Arbeit und Gebet besser miteinander zu verbinden, zur Ruhe zu kommen und dazu anregen, über das eigene Leben und Gott nachzudenken. «Viele von uns sind von der religiösen Erziehung blockiert. Als Erwachsene brauchen wir einen eigenen Zugang zum Glauben», wird Aepli, Mitglied des Projektsteams, in der Mitteilung zitiert. Dies brauche Zeit und geeignete Impulse.

Solche Impulse bieten eben zum Beispiel die Grossen Exerzitien. Der Begriff geht zurück auf Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens, der für dafür eine Zeitspanne von 30 Tagen vorsah, während der man sich geistlichen Übungen widmet.

Sich täglich Zeit nehmen fürs Gebet

Das neue Projekt verlangt von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht, 30 Tage am Stück zu beten. Es lädt ein, sich jeden Tag eine Gebetszeit von 10 bis 30 Minuten zu nehmen. «Die grosse Herausforderung dieser Alltagsexerzitien besteht darin, sich täglich Zeit zu nehmen, um wirklich in einen Prozess der Vertiefung zu kommen», erklärt Aepli. Anforderungen in Arbeit und Familie könnten einen daran hindern, sich Gott zuzuwenden.

Es wird empfohlen, sich einmal im Monat in einer Gruppe zum Austausch zu treffen. Dies sei wichtig, so Aepli in der Mitteilung, «weil wir uns so getragen von einer Gemeinschaft erfahren, mit bohrenden Fragen nicht allein sind und so das Projekt viel besser durchhalten können.»

Bereits über 30 Gruppen

Im Glauben wachsen sei ein «Übungsweg», auf dem man auf andere Menschen angewiesen sei. Wer den Weg ohne Gruppe machen möchte, dem legt die Theologin sehr ans Herzen, eine geistliche Begleitperson beizuziehen. Denn allein könne man schnell den Mut verlieren.

Die Grossen Exerzitien erfordern in der Tat Durchhaltevermögen. Sie dauern sechs Monate und beginnen am 16. November mit einem Gottesdienst in der Kathedrale St. Gallen. Offenbar haben sich bereits über 30 Gruppen gebildet, in der Deutschschweiz und teils auch in Deutschland, wie eine Liste auf der Webseite des Projekts zeigt.

Impulse aus dem Sonntagsevangelium

Inhaltlich orientieren sich die Grossen Exerzitien an den Sonntagsevangelien der katholischen Liturgie. «Von Dienstag bis Samstag gibt es zum kommenden Sonntagsevangelium einen Impuls», schreibt das Bistum. Zudem gibt es jeweils am Montag einen Impuls der französischen Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl (1904-1964) in der Form eines Zitats.

Delbrêl stammte aus einem liberalen, religiös indifferenten Elternhaus und wurde in ihrer Jugend zur erklärten Atheistin. Durch eine tiefe Lebenskrise und die Begegnung mit jungen Christinnen und Christen fand sie später zum Glauben.

Das Vermächtnis von Delbrêl spielt bei dem Projekt eine wichtige Rolle. «Wir sehen in unserem Projekt eine Form der Kirchenentwicklung. Madeleine Delbrêl ist die Prophetin der Kirche der Zukunft», erklärt Hildegard Aepli gegenüber kath.ch. «Sie hat gelebt, was auf uns alle zukommt oder bereits eingetroffen ist: die Frage, wie ich mein Christsein in einem säkularen Umfeld lebe und gestalte.»

Zum Projekt gehört ein Übungsbuch. Es enthält die Tagesimpulse vom 17. November 2025 bis am 24. Mai 2026 , einleitende Informationen zu den Grossen Exerzitien und zu Madeleine Delbrêl, Anleitung und Struktur zum Üben zuhause und eine Anleitung zum Austausch in Gruppen.

Ökumenisches Projekt

Dem Projektteam gehören neben Aepli Mirjam Wey, Pfarrerin in der reformierten Kirchgemeinde Bern Nord, und die deutsche Theologin und Exerzitienbegleiterin Annette Schleinzer an. Bei den Grossen Exerzitien im Alltag 2025/26 handelt es sich um ökumenisches Projekt.

Es sei ökumenisch erarbeitet worden und stehe unter dem Logo eines katholischen Bistums und einer evangelischen Landeskirche, sagt Aepli gegenüber kath.ch. Es sind dies das Bistum St. Gallen und die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Zu den Partnern zählen ebenfalls die Schweizerische Evangelische Allianz sowie Institutionen, die im Bereich Spiritualität tätig sind. Zudem sei das Projekt ökumenisch getragen von Leiterinnen und Leitern der Austauschgruppen, die aus verschiedenen Landeskirchen stammen, so Aepli. (kath.ch)