«Katastrophaler Kommunikationsfehler»: Mariano Delgado kritisiert Kardinal Koch

Die Entgleisung von Kardinal Koch, als er die Bemühungen des «Synodalen Weges» in Deutschland um eine angemessene Berücksichtigung der «Zeichen der Zeit» beim Ringen um die Suche nach der Gestalt der Kirche in der Welt von heute, formaliter mit der Häresie der «Deutschen Christen» verglich, die «Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben», hat zu Recht zu einem Sturm der Entrüstung geführt.

Bussakt eines Kardinals

Dass der Kardinal darauf antwortet, er habe es nicht so gemeint, wie es von vielen verstanden wurde (und wir können es ihm gerne glauben), gehört zur «Busse» bei solchen katastrophalen Kommunikationsfehlern.

Gleich was er nun sagt, diese Entgleisung wird eine bleibende digitale Signatur in den Medien hinterlassen. Wer sich so oft und zu allen möglichen Themen mit pointierten Stellungnahmen über «Quaestiones disputatae» äussert und dies auch mit der Autorität seines Amtes tut, muss auch in Kauf nehmen, dass ihm widersprochen wird. 

Kardinal Koch ignoriert das wahre Anliegen des Synodalen Wegs

Das gehört zur Kunst der theologischen Streitkultur, die heute leider zu wenig gepflegt wird, weil sich die Fronten verhärten und wir nicht mehr «die Wahrheit des Anderen» zu retten bemüht sind, wie Ignatius von Loyola anmahnte.

Kardinal Koch war leider, glaube ich, zu wenig um die Rettung des wahren Anliegens des «Synodalen Weges» bemüht. Dass man es ihm nun mit gleicher Münze zahlt, kann auch nicht verwundern – zumal der oben genannte Vergleich doch fehl am Platze ist.

Johann Baptist Metz gegen den Strich gelesen

Untergegangen ist dabei das Kernanliegen in den kritischen Bemerkungen des Kardinals zum «Synodalen Weg», das er, glaube ich, sehr geschickt mit einem Zitat aus dem Dokument «Unsere Hoffnung» der Würzburger Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1975 ausdrückt.

Dieses Dokument entstammt, wie wir wissen, der Feder des Vaters der neuen politischen Theologie, Johann Baptist Metz. Diesem wäre nie in den Sinn gekommen, dass sein Text gegen synodale Bemühungen um die Strukturreform der Kirche heute ins Feld geführt wird. 

Keine Strukturreform ohne spirituelle Erneuerung

Aber gerade dies scheint Kardinal Koch zu tun, wenn er folgende Worte aus diesem Dokument in Erinnerung ruft: «Die Krise des kirchlichen Lebens beruht letztlich nicht auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber unserem modernen Leben und Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem, in dem unsere Hoffnung wurzelt und aus dessen Sein sie ihre Höhe und Tiefe, ihren Weg und ihre Zukunft empfängt: Jesus Christus mit seiner Botschaft vom ‘Reich Gottes’.»

Wir kreisen immer wieder um den alten Kampf, ob der spirituelle Aufbruch wichtiger als die Strukturreform sei oder umgekehrt. Aber hier gilt analog das Wort des Philosophen: Strukturreform ohne spirituelle Erneuerung (die Orientierung an Jesus Christus der Mystiker und Mystikerinnen des 16. Jahrhunderts!) ist leer, spirituelle Erneuerung ohne Strukturreform ist blind. Ich vermute, dass die Befürworter des «Synodalen Weges» dies sehr wohl wissen – ebenso wie Teresa von Ávila, die zu ihrer Zeit sagte: «Marta und Maria müssen zusammen gehen.»

«Die Kirche ist frei. Der Heilige Geist treibt sie an»

Papst Franziskus geht es selbstverständlich auch um «beides». Zur spirituellen Erneuerung lädt er uns seit «Evangelii gaudium» (2013), ja eigentlich seit seiner «Brandrede» im Vorkonklave ein. Aber zur Strukturreform ermahnt er uns auch immer wieder. Sollten das nicht auch «seine» Kardinäle im Blick haben, statt die «Hermeneutik des Verdachts» gegen den «Synodalen Weg» zu praktizieren?

In seiner Homilie während der Heiligen Messe in Santa Marta vom 6. Juli 2013 erinnerte Papst Franziskus an Jesu Wort von den neuen Schläuchen, die man für den neuen Wein benötige (Mt 9,17), bevor er auf das Jerusalemer Konzil anspielte: «Im christlichen Leben, wie auch im Leben der Kirche, gibt es einfallende Strukturen. Es ist erforderlich, dass sie erneuert werden. (…) Das ist eine Arbeit, die die Kirche immer gemacht hat, vom ersten Augenblick an. Erinnern wir uns an die erste theologische Auseinandersetzung: muss man, um Christ zu werden, alle religiösen jüdischen Gebote befolgen, oder nicht? Nein, sie haben nein gesagt. […] Die Kirche ist frei. Der Heilige Geist treibt sie an.» 

Der junge Ratzinger wollte keine Kirche in der «Gestalt des Mittelalters»

Das ist auch heute eine wichtige Frage für alle, denen die Zukunft der Kirche ein Herzensanliegen ist: zu welcher Kirchengestalt sollten wir mutig «nein» sagen, damit die neue keimen kann?

Und sagte nicht der junge Star-Theologe Joseph Ratzinger, dessen «Schülerkreis» sich jetzt zu einem konservativen «Think-Tank» mit warnendem Zeigefinger entwickelt (den «Unglückspropheten», von denen Johannes XXIII. sprach, ähnlich?), 1961 am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils, Folgendes? «Das Christentum lebt gerade auch bei uns selber nicht in unserer eigenen, sondern in einer uns weitgehend fremden Gestalt, der Gestalt des Mittelalters.» 

Es geht um das Feuer der Evangelisierung

Was haben wir seit dem konziliaren Aufbruch an «Reform» verpasst, dass viele Katholiken und Katholikinnen heute diesen Satz des jungen Ratzingers unterschreiben könnten und selbst der oberste Kleriker den «Klerikalismus» geisselt und zu mehr «Synodalität»  ermutigt?

Bemühen wir uns also um die «Unterscheidung de Geister» zum Wohle der Evangelisierung! Denn wie Gilbert Keith Chesterton sagte, lebendige Tradition ist die Rettung des «Feuers» (der Evangelisierung), nicht die Bewahrung der «Asche» einer vergangenen Kirchengestalt.

* Mariano Delgado ist Professor für Kirchengeschichte, Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog an der Universität Freiburg i.Ü. sowie Dekan der Klasse VII (Weltreligionen) in der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Mariano Delgado ist auch Mitglied der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächskommission der Schweiz (JRGK).