Katholischer Frauenbund zur Witwenrente: «Frauen dürfen nicht bestraft werden»
«Aus unserer Sicht ist der Entscheid als zeitgemässe Massnahme in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse zu werten», sagt Sarah Paciarelli, verantwortlich für Kommunikation, Bildung und Politik beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund, gegenüber kath.ch.
«Richtiger Schritt»
»Nach aktueller Gesetzgebung haben Witwen Anspruch auf eine lebenslange Rente, selbst wenn sie keine unterhaltsberechtigten Kinder haben, während Witwer diese nur bis zur Volljährigkeit des jüngsten Kindes erhalten. Die Unterstützung gilt nur für Eheleute. Diese Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei den AHV-Hinterlassenenrenten aufzuheben, ist der richtige Schritt», ist Paciarelli überzeugt.
«Dass durch die Revision neu alle Familien – unabhängig vom Zivilstand der Eltern – unterstützt werden, ist als Annäherung an die faktischen gesellschaftlichen Verhältnisse ebenfalls zu begrüssen», findet Paciarelli.
Traditionelles Gesellschaftsbild
Die aktuelle Gesetzgebung beruht laut den Schweizer Behörden auf dem traditionellen Gesellschaftsbild, dass Männer als Haupternährer gelten. Ihnen wird zugetraut, den Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Frauen jedoch nicht, weshalb ihnen lebenslänglich eine Witwenrente zusteht.
Der Bundesrat will diese Ungleichbehandlung nun aber beseitigen. Dafür hat er eine Gesetzesänderung präsentiert und ins Parlament geschickt. Laut dieser sollen neu Eltern bis zum vollendeten 25. Altersjahr des jüngsten Kindes eine Hinterlassenenrente erhalten.
Unabhängig von Zivilstand und Geschlecht des Elternteils
Der Anspruch ist unabhängig vom Zivilstand und dem Geschlecht des Elternteils. Eine Hinterlassenenrente über das vollendete 25. Altersjahr des jüngsten Kindes hinaus sollen Eltern erhalten, wenn sie ein erwachsenes Kind mit Behinderung betreuen und dafür ein Anspruch auf Betreuungsgutschriften der AHV besteht.
So weit so gut. Der Schweizerische Katholische Frauenbund weist aber darauf hin, dass die Situation von Eltern – in der Realität vor allem Müttern – mit Kindern über 25 Jahren eine besondere Betrachtung verdient.
SKF: Einbussen bei Arbeitspensen und Karrierechancen
«Dies, weil Frauen nach wie vor einen Grossteil der unbezahlten Betreuungs- und Erziehungsarbeit von Kindern leisten. Dafür zahlen sie mit Einbussen in Arbeitspensen, Karrierechancen, Erwerbseinkommen und somit Rentenansprüchen», erklärt die SKF-Sprecherin.
«Frauen dürfen nicht dafür bestraft werden, dass die Strukturen zur familienergänzenden Kinderbetreuung, die steuerlichen Anreize – hohe Grenzsteuersätze auf den Zweiteinkommen bei Verheirateten – und nicht zuletzt die patriarchalen gesellschaftlichen Erwartungen es ihnen erschwerten, ihre berufliche Laufbahn gemäss ihrem eigentlichen Erwerbspotenzial auch nach der Geburt ihrer Kinder weiterzuführen», so Paciarelli.
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert
An dieser Stelle betont der SKF deshalb die hohe Dringlichkeit besserer Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. «Wenn die Gesetzgebung und Rechtsprechung der Schweiz zunehmend Abstand nimmt vom Modell der Versorgerehe – was zu begrüssen ist –, hat der Staat auch die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ein egalitäreres Modell für heutige Eltern und eine individuelle finanzielle Existenzsicherung für Mütter wie Väter überhaupt machbar und möglich ist», so Paciarelli.
Verein Aurora dafür
Der Verein «Aurora», eine Informations- und Kontaktstelle für Verwitwete, begrüsst eine geschlechts- und zivilstandsunabhängige Hinterlassenenrente grundsätzlich. «Wir fordern aber nachdrücklich, auf die Streichung von laufenden Renten von hinterlassenen Elternteilen zu verzichten», teilt der Verein mit.
Witwen hätten ihren finanziellen Lebensentwurf basierend auf der lebenslangen Witwenrente gemacht. Durch deren Wegfall würden Vorsorgelücken entstehen, die nicht aufgeholt werden könnten. «Das Streichen einer gesetzlich geregelten und persönlich zugesprochenen Versicherungsleistung wäre zudem eine gravierende Verletzung der Rechtssicherheit in unserem Land», argumentiert der Verein.
Hintergrund ist ein Gerichtsurteil
Der Hintergrund für die neue Regelung ist ein Gerichtsurteil. Als die jüngste Tochter eines Witwers in Appenzell Ausserrhoden volljährig wurde, strich ihm die Ausgleichskasse von die Witwerrente. Wäre er eine Frau, wären die Zahlungen weitergelaufen.
Der Witwer klagte gegen diese Ungleichbehandlung. Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gab ihm recht. Das Urteil lautet: Die Schweiz diskriminiert Männer. Daraufhin hat die Schweiz eine Übergangsregelung eingerichtet. Bis das System einer Reform unterzogen wird, wird Witwern mit Kindern eine lebenslange Rente gewährt. (kath.ch)