Schwerpunkt

WO STEHEN WIR? 

von Urs-Beat Fringeli, Wolfwil

Pfarrer Urs-Beat Fringeli aus Wolfwil hat sich im Nachgang zum Pfingstfest Gedanken zu Kirche und Gesellschaft gemacht. Was ist aus dem christlichen Glauben geworden – wohin führt sein Weg? Er plädiert für einen mutigen Schritt in die Zukunft.    

An Pfingsten haben wir den Geburtstag der Kirche gefeiert. Zu dieser Zeit ging ein Bericht durch die Medien, wonach Kirchen heute ungenutzt bleiben bzw. anders genutzt werden, weil die Gläubigen fehlen. Da wurde z. B. eine Kirche für eine Schule umgebaut, da gibt es in einer anderen Kirche Wohnungen für Flüchtlinge. Besonders aufmerksam hat mich eine Meldung gemacht: Eine Kirche wurde nun als Moschee von muslimischen Gläubigen übernommen. 

Nun könnte man sagen: «Besser, in unserem christlichen Sinne, ein Gotteshaus als ein Raum für eine atheistische Vereinigung. Dann wird in diesem Raum wenigstens noch gebetet.»  

Was denken Sie?
Also, ehrlich gesagt, mir persönlich ist es dabei nicht ganz wohl. Ich schätze die muslimischen Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern, ihren Glauben, ihre Werte. Ich habe aus dieser Gemeinschaft Menschen kennengelernt, die mich als Menschen überzeugt haben, die ich mit ihren Ansichten bewundert habe. Es geht nicht um eine Bewertung von Menschen oder von ihren Überzeugungen. 

Wir können unsere Religion nicht verkaufen

Nur: Was ist aus unserem christlichen Glauben geworden? Ist der Glaube nicht die Quelle eines sich selbst erkennenden Volkes? Unsere Kirche ist entstanden, hat sich verbreitet, weil Menschen sich für ihn in Todesgefahr gebracht haben und als Märtyrer gestorben sind, um ihren und heute unseren, den christlichen Glauben zu vertreten bzw. zu erhalten. Sie waren zutiefst überzeugt: Christus ist Gottes Sohn, der Erlöser und Heiland, der letztlich allen Menschen das Heil bringt und sie erlöst, der den Tod besiegt hat, der allein uns heim zum Vater, zu Gott führt, der die Brücke zu Gott ist. Während zwei Jahrtausenden haben unzählige Generationen die Nähe und Gegenwart, die heilende Hilfe des Auferstandenen erfahren (und bezeugt). Dieser Glaube hat uns letztlich zur Mitmenschlichkeit, zur Demokratie und zu einem «sozialen Staat» (mindestens nennen wir ihn Sozialstaat …) geführt, auch wenn Fehler gemacht wurden, wenn es Missverständnisse gab. Denn die Aufwertung aller bzw. jedes Menschen ist die Grundlage einer Demokratie. Das war ein Prozess, eine Entwicklung der Humanität durch den christlichen Weg. Menschen sind unvollkommen. Doch die Erkenntnis, die sich erhalten und durchgesetzt hat, war: Das Heil für Menschen ist in der Liebe zu finden, in der Liebe zu allen Menschen, durch das Vertrauen in Gott, der barmherzig ist, uns trägt und erhält, in Christus, der uns von Sünde und Tod befreit, in die Kraft des Heiligen Geistes, der unseren göttlichen Geist erweckt. Dies waren und sind die Urgedanken der Kirche, die erhalten geblieben sind. Es ist heute an uns Christinnen und Christen, diese Pfingsterfahrung zu erhalten.

Wir verkaufen heute unsere Kirchen für irgendwas und an irgendwen. Die geschieht, weil Menschen sich nicht mehr für die Kirche interessieren. Es geschieht aus Wohlstand, Interesselosigkeit, Kurzlebigkeit, Oberflächlichkeit, Unkenntnis und Unverständnis; es geschieht aus «Geschichtslosigkeit». In den Religionen geht es um die Erinnerung an den Ursprung, den Anfang des Heils. Diese scheint bei uns verloren zu gehen. Wo aber Menschen ihre Vergangenheit vergessen oder verlieren, da werden sie ihre Gegenwart nicht verstehen und letztlich sich aus dieser als ganze Menschen verabschieden. Wenn wir keine Geschichte mehr haben, werden wir auch «gesichtslos», austauschbar, Spielbälle von anderen, die über uns bestimmen. Wir verlieren unsere Identität.  

Wer war und wer ist Christus?
Unsere Kirche wurde von Jesus Christus gewollt, der Gottes Sohn war und ist, der gekommen ist, um unser wahres Menschsein zu befreien, zu erwecken, zu erhalten. Wenn wir daran nicht mehr festhalten, verleugnen wir die Ergebnisse und Einsichten einer zweitausendjährigen Geschichte unseres christlichen Abendlandes, trennen wir uns von unseren religiösen, kulturellen und geschichtlichen Wurzeln. 

Wir sagen uns alsbald los von Werten, die unsere Gesellschaften und Nationen geprägt, beeinflusst und getragen haben. Diese Werte sind auf uns abgestimmt und die Ergebnisse unseres eigenen Weges, unserer Erkenntnis und uns unserer Erfahrung. Ihnen können wir vertrauen. Ohne sie geben wir uns letztlich selber auf.  

Einheit in der Vielfalt
Zwar gibt es in allen Religionen Werte und Wahrheiten. Aber darum geht es hier nicht. Unsere Kirchen und unseren Glauben sind Zentren, sind unser Zentrum des übereinstimmenden Zusammenlebens. Unser Kultus inspiriert unsere Kultur und befruchtet diese immer neu. Unser Zusammenleben wird immer wieder neu entstehen durch Austausch, durch ein Ringen, Suchen und Finden, welche sich durch das gemeinsame Gebet ergeben, welche es zum Gelingen bringen kann. So war am ersten Pfingstfest: Einheit durch Vielfalt, doch diese entstand aus einer gemeinsamen Grundlage, die da war: die Erfahrung Christi, seiner göttlichen Liebe, dass Gott sie mit uns teilt: die totale Aufwertung des Menschen: Gott wurde Mensch in Christus. Er erhebt damit das Menschsein zur Göttlichkeit. Erschreckend und herausfordernd: Wenn Gott Mensch wird, kann der Mensch irgendwann einmal wieder göttlich werden. Unser Glaube ist das, was zu uns in unserer Gegend und in unseren Gegenden passt, sonst hätten es nicht unzählige Generationen vor uns angenommen und weitergetragen. Wir können diese Mentalität nicht einfach gegen eine andere austauschen. Wir haben sie im Blut oder, wie man heute auch sagt: in unseren Genen. Doch heute wissen wir auch: Der Glaube verändert die Gene, nicht umgekehrt. Der Glaube, der sich im Gewissen zeigt, ist der innerste und wahrste Mensch. Wollen wir dieses tragende und uns erhaltende Lebenselixier einfach verachten oder vergeuden? 

Geben wir es aus der Hand?
Wir würden oberflächlich und lau. Andere würden über uns bestimmen. Unsere christliche Religion ist die Grundlage für unser Verständnis und das Fundament für unsere Gesellschaftsordnung. Nicht zufällig haben wir ein Kreuz in der Flagge unseres Landes, haben viele europäische Länder ein Kreuz in ihren Flaggen.  

Mutig in die Zukunft schauen!
Unser Landsmann Max Frisch hat einmal sinngemäss geschrieben: Wer sich nicht selber entscheidet und einbringt, der hat sich für die vorherrschende Politik entschieden. Entscheiden wir uns für den Glauben, der sich für uns bewährt hat, der uns in unserer Gegend, in unserer Zeit und zu unserem Verständnis passt und uns guttut. Halten wir fest, was uns immer gehalten hat. Lassen wir nicht los, was uns eine Heimat bot und bietet. Dann können wir mutig in die Zukunft schauen. Dann werden wir eine lebenswerte Zukunft haben, weil wir mitbestimmen. Wir werden uns so verändern, wie es zu uns passt und uns dient. Wir werden unseren Weg gehen und unser Ziel erreichen!

Ich hoffe, ich habe mich mit diesem Artikel nicht missverständlich ausgedrückt. Ich träume davon, dass wir auf der einen Stras­senseite eine Moschee haben, auf der anderen unsere Kirche. Dann haben wir einen buddhistischen Tempel usw. Wir laden uns gegenseitig ein und bereichern uns. Wenn wir unsere Identität haben, können wir erst anderen Menschen richtig und wirklich begegnen. So hat schon Christus in seinem Erdenleben seine Identität bewahrt und seinen Glauben gelebt. Deshalb konnte er furchtlos anderen Menschen begegnen. Mit diesen Zeilen wende ich mich an Sie, die ja genau dies wollen. Auch als wenige Christinnen und Christen knüpfen wir immer neu an die Urerfahrung von Pfingsten an: Wir halten an unserem Glauben fest, bleiben im Gebet und erwarten den Heiligen Geist. Er wird wirken, vertrauen wir darauf! Ich persönlich möchte am Sonntag in der Kirche dem Wesen der Liebe begegnen, mich in der Heiligen Eucharistie mit ihm verbinden. Ich kann und will Christus nicht verleugnen, den ich als gegenwärtig erfahre, der mich aus den Fesseln des Todes und der Schuld befreit, der mich durch und durch kennt, weil er selber den Weg des Menschen gegangen ist. Er schickt uns den Heiligen Geist, der uns heiligt und unser wahres Menschsein erweckt.