Schwerpunkt

Konzilien, Synoden und der ­synodale Prozess

Von Urban Fink-Wagner

Wie kommt die Kirche aus der Krise? Angesichts von Missbrauchsskandalen, dem beängstigendem Priestermangel und einer oftmals schon geografisch bedingten grösseren Distanz zwischen ­Gläubigen und kirchlichen Angestellten in Pastoralräumen usw. stellen sich viele Gläubige diese Frage. Damit verbunden sind Unzufriedenheit, Enttäuschung, Ängste über verlorengegangene ­scheinbar gute Zeiten in der Kirche, aber auch Wut über ausbleibende Reformen. 

Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt uns schnell auf, dass Krisen in der Kirche nichts Neues sind, sondern zum kirchlichen Leben dazugehören. Sie begleiten uns seit den Anfängen der Kirche bis heute. 

Immer aber gab und gibt es auch Lösungen, und die Kirche schuf und schafft Institutionen, um Krisen durch die Gabe der Unterscheidung der Geister klären und beheben zu können. Die bisher 21 ökumenischen Konzilien und viele Synoden, grössere oder kleinere Bischofsversammlungen, dienten dazu, umstrittene Fragen zu diskutieren, Entscheide in Glaubensfragen oder disziplinarischen Angelegenheiten zu fällen und so eine Reform und Stärkung der Kirche zu ermöglichen. 

KEINE «SOFORTLÖSUNGEN»
Sowohl Konzilien selbst wie auch deren Umsetzung verlaufen aber nicht schnell und reibungslos, sondern gehen manchmal auch seltsame Wege. So schrieb schon Gregor von Nazianz im 4. Jahrhundert, dass er «noch kein Konzil gesehen habe, das glücklich zu Ende gegangen wäre und unseren Übeln ein Ende bereitet hätte, statt sie zu vermehren». Dieser allzu pessimistischen Sicht aber muss entgegengehalten werden, dass viele Konzilien Lösungen brachten und Reformen ermöglichten. So wäre es falsch, auf solche Institutionen und auch auf den gegenwärtig laufenden synodalen Prozess in den einzelnen Ortskirchen und in der Weltkirche zu verzichten – im Gegenteil!

DIE SUCHBEWEGUNG DER KIRCHE WAGEN
Warum wurde das letzte Konzil, das Zweite Vatikanische Konzil, 1962–1965 durchgeführt? Die Kirche unter den Pius-Päpsten war zwischen 1850 und 1950 gefestigt. Das Erste Vatikanische Konzil gab 1870 dem Papst mit der Definition des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und der (oftmals missverstandenen) päpstlichen Unfehlbarkeit ein Instrumentarium in die Hand, die scheinbar Konzilien überflüssig machte. Trotzdem berief der konservative, aber charismatische Papst Johannes XXIII. 1959 ein Konzil ein, weil er spürte, dass die Kirche neue Schritte in die Zukunft wagen muss, um ihre Aufgabe in der Welt zu erfüllen und Christus als Mitte der Geschichte und des Lebens besser zur Geltung bringen zu können.

In seiner berühmten Eröffnungsrede vom 11. Oktober 1962 warnte er vor den Unglückspropheten, die «in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil» sehen und unablässig die Gegenwart schlechtreden. Er hielt dagegen: «In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche die Menschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, muss man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen.» Diese Worte gelten auch heute noch.

Das Zweite Vatikanische Konzil, für das Johannes XXIII. nur wenige Monate vorsah, brachte nach drei Jahren viele und unerwartete Überraschungen. Endlich bekannte sich die Kirche zu den Menschenrechten, erhob die bisher verpönte Ökumene zur Pflicht und sprach sich für die Religions- und Gewissensfreiheit aus. Sie definierte sich selbst als Gemeinschaft aller Gläubigen und nahm so zumindest auf dem Papier Abschied von der bisherigen Klerikerkirche. 

DIE SYNODE 72 ALS VERPASSTE CHANCE
Die Kirche in der Schweiz versuchte mit der Synode 72, die Anliegen des Konzils auch in der Schweiz umzusetzen und auf die Ebene der Ortskirchen und der Pfarreien hinunterzubrechen. Die dafür erarbeiteten Dokumente sind zwar bis heute lesenswert, wurden aber in Rom vorschnell schubladisiert. Mit der Einsetzung von Wolfgang Haas als Weihbischof des Bistums Chur mit dem Recht der Bischofsnachfolge setzte Rom gewollt oder ungewollt 1988 ein Zeichen gegen Reformen. Der medial sehr gewandte, aber autoritäre Papst Johannes Paul II. förderte die Hierarchisierung der Kirche und ein Gehorsamsverständnis, das zum Pro­blem werden sollte; die Papstjahre von Benedikt XVI. brachten hier keine Neuerungen.

«GEMEINSAM GEHEN UND ZUHÖREN»
Papst Franziskus setzt die Segel anders: Er tritt seit 2013 für eine synodalere Kirche ein, welche die Anliegen der Welt ernst nimmt und an die Ränder der Gesellschaft gehen soll. Damit nimmt er zumindest vordergründig Abschied vom römischen Zen­tralismus, auch wenn ihm selbst ein gewisser autoritärer Charakter nicht abzusprechen ist. 2021 eröffnete Franziskus den synodalen Prozess in der ganzen Weltkirche. Die Schweizer Bistümer nahmen in je unterschiedlicher Form diese Anliegen auf. Der Schweizer Synodenbericht fasste 2022 unter Wahrnehmung der Realität der Kirche in der Schweiz die Herausforderungen zusammen, die sich in den Stichworten Relevanzverlust der kirchlichen Glaubenstradition, Vertrauensverlust der Kirche – vor allem wegen der Missbrauchsfälle – und wachsende Distanzierung von der Kirche zusammenfassen lässt.

Als Perspektiven wurden formuliert: Ausgrenzung von Menschengruppen beenden, Klerikalismus überwinden, geteilte Macht­ausübung einführen, Liturgie verlebendigen usw. Diese Schweizer Anliegen wurden in das Dokument der Europäischen Kontinentalversammlung von Prag 2023 inte­griert und kommen somit in den beiden Sitzungen der Bischofssynode in Rom im Herbst 2023 und 2024 zur Sprache. Erstmals sind dort auch nichtgeweihte Mitglieder mit vollem Stimmrecht zugelassen. 

VERUNSICHERUNG AUSHALTEN UND EINHEIT FÖRDERN
Der synodale Prozess ist eine anspruchsvolle Herausforderung. Das zeigt sich vor allem in Deutschland, wo eigentliche Grabenkämpfe zwischen Reformgegnern und Reformbefürwortern ausgebrochen sind. Auch Papst Franziskus und die römische Kurie äusserten sich kritisch. Aber es fällt auf, dass eine deutliche Mehrheit der deutschen Bischöfe den dortigen synodalen Weg mitträgt, auch Bischöfe, die keineswegs dem «progressiven» Flügel zuzurechnen sind. Ein deutlicher Hinweis auf den Reform­bedarf der Kirche. 

MUT ZU REFORM UND UMKEHR
Die Kirche ist immer dazu aufgerufen, sich zu reformieren und Neuland zu betreten. «Keine Reform» ist also keine Lösung. Wie Reform geschehen soll, setzt aber einen anstrengenden und mühsamen Suchprozess voraus, der Fehler und auch Frustrationen nicht ausschliesst. Toleranz, das Aushalten von anderen Meinungen, das gute Hinhören, Mittragen und auch Mitleiden gehören dazu. In diesem synodalen Prozess ist gefordert, wozu wir auch persönlich im Lichte und in der Kraft des Glaubens eingeladen sind: umzukehren und sich Gott neu zuzuwenden mit dem Ziel, das zu bewahren, was nicht aufgegeben werden darf, aber auch das neu zu wagen, was an Umkehr und konkreter Reform nötig ist.  

Der Historiker und Theologe Urban Fink-Wagner ist Geschäftsleiter der ­Inländischen ­Mission und fungiert beim «­Kirchenblatt» als Chefredaktor-­Stellvertreter und Redaktionsmitglied.