Schwerpunkt

Erhöret uns!

von Reto Stampfli

Kirche ist grundsätzlich Kommunikation. Egal, ob ein Pfarrer predigt oder eine Gemeindeleiterin mit Jugendlichen ein Projekt durchführt. Die Kirche ist über die Medien auch auf Menschen ­angewiesen, die ihre Angebote im Moment nicht brauchen, aber sich mit ihr solidarisch zeigen. ­Gerade in diesem Bereich scheitert die Kommunikation jedoch immer wieder. 

Es gehört zum Manko der Kirchen, dass ­viele ihrer Sprechversuche in den Kommunikationen des Alltags heute stumpf und irrelevant geworden sind. Aus diesem Grund ist es höchste Zeit, die sprachlichen Antiquariate zu durchforsten und Verstaubtes aus dem Verkehr zu ziehen. Doch wie können die Kirchen eine Sprache sprechen, die auch heute noch gehört und verstanden wird? Hier gibt es sicher kein Patentrezept. Aber es ist grundsätzlich wichtig, dass Religion primär mit der Einübung in eine Lebenshaltung zu tun hat, die Sinn macht und auch im Jahr 2023 noch angewendet werden kann. Eine Lebenshaltung, die uns offen und dankbar, jedoch auch gefasst macht auf das, was uns geschehen wird, auf die Sterblichkeit und die Notwendigkeit, Trennungen zu verarbeiten, oder mit den Worten der Pastoralkonstitution «Gaudium et spes» auf den Punkt gebracht: «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, dass nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.» 

Wortwahl und Ästhetik
In der Praxis bestimmt häufig der Zufall, wie die Kirchen in die Welt hinein kommunizieren. Was viele kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gelernt haben, ist strategisch zu kommunizieren. Sprich kontinuierlich zu überlegen: Was interessiert die Menschen? Auf welchen ­Kanälen lassen sich möglichst viele Interessierte ­ansprechen? Viele in der Kirche Aktive ­befassen sich hingegen tagein, tagaus mit Strukturfragen oder internen Problemen, dadurch verkommt die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit schnell zur exklusiven ­Mitgliederkommunikation. Bedingt durch ­diese belastenden Interna hält die kirchliche Kommunikation kaum mit dem Medien­wandel Schritt. Kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit mangelt es nicht selten an Strategie, Geld und Personal. Erfrischend und wichtig wären mehr Debatte und Interaktion; Kanäle, auf denen Gläubige mit Seelsorgenden in Kontakt treten könnten. Für viele Ältere ist es jedoch nicht mehr nachvollziehbar, dass Medien heute quasi alle Lebensbereiche durchströmen. Sollten die Kirchen also ­allein auf digitale Medien setzen, um zusätzlich auch jüngere Milieus anzusprechen? Das wäre zu einfach und verspricht nicht zwingend Erfolg. Entscheidender sind die richtige Wortwahl und Ästhetik: wie zum Beispiel die Seichtheit von ­Bildern, die typische Kirchenklischees bedienen und einen Kirchenraum mit einem Kreuz oder einer Kerze zeigen. Solche Bilder sagen überhaupt nichts Zwischenmenschliches, Emotionales, aus. Gerade junge Leute ­suchen in erster Linie nichts dergleichen, sondern sie suchen Menschen, die Freude ausstrahlen, vielleicht auch eine gewisse Zuverlässigkeit. Menschen, wo sie denken, mit denen würde ich gern in Kontakt kommen.  

Geschwisterlicher Dienst
Dabei könnte es im Grunde ganz einfach sein. Die dogmatische Konstitution über die Kirche «Lumen Gentium» des Zweiten Vatikanischen Konzils betont den geschwisterlichen Dienst der gesamten Kirche an der Einheit aller Menschen. Das 1964 veröffentlichte Dokument bezeichnet die Kirche weitsichtig als Medium, als «ein universales Heilszeichen», das nicht nur die Getauften, sondern auch diejenigen mitfokussiert, die auf ihre Weise durch die Praxis ihres Lebens «zur Teilhabe am göttlichen Leben» erhoben werden (Lumen Gentium 2). Auch wenn es überraschend klingen mag, aber Dogmen könnten in dieser Hinsicht Orientierungsdienste leisten, wenn sie die Erfahrungen von Menschen mit dem Gott Jesu Christi nicht nur zu kategorisieren, sondern angemessen zu aktualisieren verstünden. Dogmen könnten dann die Funktion eines Leuchtturms übernehmen, der Menschen dazu befähigt, die radikale Offenheit der Welt im Blick auf ihre eigene, einmalige Existenz hin zu deuten und sinnhaft zu gestalten und trotz aller möglichen Bedrohungen der Hoffnung den Vorrang zu geben. 

Vom Dogma zur Person
Ein Umdenken im Kommunikationsverhalten der Kirche setzt eine Veränderung der Haltung voraus. Subjektorientierte und subjektgetragene Kommunikation meint, dass die Verkündigung der Kirche ihren Hauptfokus nicht in sich, sondern in der Subjektwerdung des Einzelnen hat. Die Gemeinde, der Gottesdienst, der Religionsunterricht müssten Räume und Atmosphären schaffen, in denen Menschen ihr Leben als einzigartigen göttlichen Ruf wahrnehmen und erleben können. Eine Haltungsänderung in der Kommunikation setzt aber nicht nur ­eine klare Option für das Leben des Einzelnen, sondern auch eine andere Struktur von Pastoral und Bildungswesen voraus, die auf eine neue Form der Begegnung, Beratung und Begleitung von Menschen setzt. Eine personenzentrierte Kommunikation, die es – mehr oder weniger bewusst – bereits auf verschiedenen Ebenen pastoraler und schulischer Praxis gibt. Ein Ansatz, der davon ausgeht, dass jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, sich konstruktiv zu entwickeln und selbstverantwortlich seine Probleme zu ­lösen. Dieses Vorgehen fördert Subjekt­werdung. Sie begleitet Menschen in ihrem Alltagshandeln durch Stärkung ihrer Selbstständigkeit, durch Klärung ihrer inneren und äusseren Konflikte und durch Verbesserung ihrer Fähigkeiten, sich der eigenen ­Ziele und Wege zu vergewissern. Auch in der kirchlichen Kommunikation wird die zwischenmenschliche Beziehung als wichtig angesehen, aber oft eher instrumentell verstanden, sozusagen als Vorbedingung für die eigentliche katechetische oder homiletische Arbeit. Die Beziehung kann dann schnell zu einem Mittel zum Zweck werden. 

Beziehung geht vor Inhalt
Das ist der grundsätzliche Paradigmenwechsel, den die kirchliche Kommunika­tion braucht. Es sind nicht immer Expertinnen und Experten gefragt, sondern authentische, empathische Menschen. Nicht Helfer, die sich anmassen, es besser als andere zu wissen, sondern Menschen, die bereit sind, sich ganz auf die Welt eines anderen einzulassen. Ein spezifisch christlicher Kommunikationsstil besteht darum nicht primär in der Verkündigung und ­Sicherstellung dogmatisch versiegelter Glaubenswelten, sondern in der Erinnerung und Vergegenwärtigung des Lebens Jesu als eines Angebots solidarischer Lebensgestaltung, bei dem Beziehung vor ­Inhalt geht. Eine neue Solidarität im Kleinen könnte entstehen. Es wäre die Wiederbesinnung auf ein biblisches, ein jesuanisches Vermächtnis. Hinter diesen Worten steckt ein verändertes Bild von Kirche: Der Mensch in all seinen Lebenssituationen, ganz besonders in den schwierigen, soll im Mittelpunkt ­stehen, nicht die Institution und auch nicht die Dogmen. Denn in der Zuwendung zum Menschen, wie Jesus sie uns vorlebt, steckt eine tiefere Glaubensbotschaft, als Worte jemals ausdrücken könnten. Darum sollen wir uns als Christen unserem Nächsten öffnen, seine Freude soll unsere werden, seine Trauer zu unserer eigenen.