Editorial

Geschichten

Ein Reisezirkus hatte im Spätsommer auf einem Feld vor dem Dorf sein Zelt aufgeschlagen. Plötzlich geriet das rot-weisse Chapiteau mit der krönenden Lichterkette in Brand. Der Direktor schickte einen Clown, der schon zur Vorstellung gerüstet war, in das benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen, zumal die Gefahr bestand, dass über die abgeernteten, ausgetrockneten Felder das Feuer auch auf die Häuser übergreifen könnte. Der bunt geschminkte Clown eilte ins Dorf und bat die Bewohner, sie sollen eiligst zum brennenden Zirkus kommen und löschen helfen. Aber die Dörfler nahmen den Clown nicht ernst und hielten sein Geschrei für einen ausgezeichneten Werbetrick, um sie möglichst zahlreich in die Vorstellung zu locken; sie applaudierten und lachten, bis ihnen die Tränen kamen. Dem Clown jedoch war mehr zum Weinen als zum Lachen zumute; er versuchte vergebens, die Menschen zu beschwören, ihnen klarzumachen, dies sei keine Vorstellung, kein Trick, es sei bitterer Ernst, es brenne wirklich. Doch sein Flehen steigerte nur das Gelächter, denn man fand, er spiele seine Rolle ausgezeichnet – bis schliesslich in der Tat das Feuer auf das Dorf übergegriffen hatte und jede Hilfe zu spät kam.

Diese Geschichte habe ich vor Jahrzehnten in einem Werk des amerikanischen Theologen Harvey Cox gelesen. Die Erzählung von den tragisch-komischen Begebenheiten rund um den Wanderzirkus hat mich bis heute nicht losgelassen. Die verzweifelte Lage des Clowns regt mich immer wieder zum Denken an. Cox nimmt diese eindrückliche Geschichte, um sie als Beispiel für die Situation der christlichen Theologie zu verwenden, denn sie wird in ihren Gewändern aus der Vergangenheit oft auch nicht mehr ernst genommen. Ja, vielleicht gilt diese Geschichte sogar für alle bekennenden Christen; die in einer modernen und wissenschaftlichen Welt von vielen Seiten belächelt werden. Doch es gibt zum Glück auch ermutigende Geschichten. Dazu gehört zweifellos die Weihnachtsgeschichte. Obwohl es auch dort nicht an negativen Einflüssen fehlt, zeigt sie seit Generationen eine bestärkende Wirkung auf die Zuhörerschaft. Oder mit den Worten des deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer auf den Punkt gebracht: «In die Nähe der Krippe wagt sich kein Gewaltiger, hat sich der König Herodes auch nicht gewagt. Denn eben hier wanken die Throne, fallen die Gewaltigen, stürzen die Hohen, weil Gott mit den Niedrigen ist [...].»

Mit weihnächtlichen Grüssen 

Reto Stampfli