Michael Meier: «Papst Franziskus wertet Europa regelmässig ab»

Für viele Kirchenleute ist Michael Meier ein rotes Tuch. Nie schreibe er etwas Positives über die Kirche, so die gängige Kritik. 1955 in Zürich geboren, studierte der Protestant römisch-katholische Theologie. Er sei ein «verhinderter Konvertit», sagt Meier verschmitzt. Statt Priester wurde er Journalist und arbeitete 33 Jahre lang als Kirchen- und Religionsexperte für den Zürcher «Tages-Anzeiger».

«Das Konfliktuöse ist das Interessante und gibt Schlagzeilen. Doch solange ich zu dem stehen kann, was ich schreibe, macht mir der Vorwurf, ich würde das Haar in der Suppe suchen, nichts aus», sagt er.

Seelsorger und Hirte

Seinem Ruf bleibt Meier auch in seinem Sachbuch treu: Er zeichnet im Detail nach, weshalb Papst Franziskus der römisch-katholischen Kirche zwar ein menschlicheres Gesicht gibt, in der Lehre aber alles beim Alten belässt und weitreichende Reformen ablehnt.

«Papst Franziskus ist ein Seelsorger und Hirte, der alle Menschen willkommen heisst. In seinen öffentlichen Auftritten zeigt er sich bescheiden und barmherzig. Doch die Kirche grundlegend reformieren, das will er nicht», sagt Meier.

Segen für alle: Mogelpackung

Beispiel Segen für alle: Noch 2021 lehnte der Vatikan es kategorisch ab, dass Paare in sogenannten «irregulären Beziehungen» gesegnet werden. Im vergangenen Dezember kam die Kehrtwende: Im Schreiben «Fiducia supplicans» erlaubt der Papst die Segnung wiederverheirateter Geschiedener, Menschen im Konkubinat und gleichgeschlechtlicher Paare.

Nur, und das kritisiert Meier, in diesem Papier ist nach wie vor klar, was richtig und was falsch beziehungsweise «irregulär» ist. Er sagt im Podcast «Laut + Leis»: «Ein Segen sollte das, was er segnet, legitimieren oder wertschätzen. Aber gerade das macht das päpstliche Papier nicht. Es ist vollgespickt mit Einschränkungen und Vorschriften.»

Für ihn sei das kein Fortschritt, sondern eine Mogelpackung, so Meier. «Der Papst reizt zwar einen gewissen Spielraum aus. Doch er lässt – und das ist die rote Linie in diesem Pontifikat – die Lehre unangetastet.»

Weltsynode: Alibi-Übung

Ähnlich pessimistisch beurteilt Michael Meier die Weltsynode. Dass Papst Franziskus erstmals 54 Frauen zugelassen und die Sitzordnung komplett geändert hat, tut Meier als «Kosmetik» ab. «Er kann im kommenden Herbst siebzig oder mehr Frauen berufen. Doch der Sprung zur vollen Gleichberechtigung der Frauen – der wird nicht kommen.»

Wenig hoffnungsvoll stimmt Meier die Situation in Deutschland: Den dortigen synodalen Weg habe der Papst vehement unterbunden, und so werde wohl auch die Weltsynode zur Alibi-Übung.

Armutsbekämpfung und Umweltschutz

Fragt man den Autor, ob Papst Franziskus denn überhaupt irgend etwas richtig gut macht, so sagt er: «Ganz gewiss, er setzt sich glaubhaft ein für die Anliegen der Armen, und ihm ist der Schutz der Natur ein echtes Anliegen.» Noch kein Papst vor ihm habe den Umweltschutz so prominent in den Fokus gerückt.

Damit mache er die römisch-katholische Kirche «gesellschaftlich anschlussfähig», was zu begrüssen sei. Gleichzeitig lenke der Papst auch ab von den systemimmanenten Problemen der Kirche. «Heisse Eisen wie Pflichtzölibat, Gleichberechtigung der Frauen oder Dezentralisierung bleiben unangetastet.»

Billiger Pazifismus

Kritik äussert Michael Meier in seinem Buch auch an den politischen Statements des Papstes. «Überrascht hat mich, wie europaskeptisch Papst Franziskus ist. Im Ukraine-Krieg schert er aus dem westlichen Bündnis gegen Russland aus und geht nicht genügend auf Distanz mit dem Moskauer Patriarchen Kirill.»

Franziskus nenne den Aggressor nicht beim Namen und gehe von einer Symmetrie zweier Streithähne aus. Auch habe er es bis heute unterlassen, Kiew zu besuchen. «Er vertritt einen radikalen, billigen Pazifismus, der vergisst, dass die Kirche sich die Lehre des gerechten Krieges zu eigen gemacht hat, wonach sich der angegriffene Staat verteidigen darf», sagt Meier. Dieses Selbstverteidigungsrecht der Ukraine habe der Papst leider nicht explizit in die Waagschale geworfen.

Europa ist ihm fremd

Überhaupt sei Europa dem Argentinier fremd geblieben. Mehr noch: «Franziskus wertet Europa regelmässig ab und behauptet, Europa und die EU verlören ihre Seele.» 

Das geht Michael Meier definitiv zu weit, und er erinnert an den europäischen Wertekanon, in dem Menschenrechte, Demokratie und Gleichstellung wichtige Grundpfeiler sind. 

Kardinäle aus dem globalen Süden

Mit seiner Personalpolitik ist es Papst Franziskus gelungen, die römisch-katholische Kirche weniger eurozentrisch zu machen. «Die meisten Kardinäle, die Franziskus ernannt hat, stammen aus dem globalen Süden und sind sozial sehr engagiert.»

Doch puncto Reformen werde sich gar nichts ändern, ist Meier überzeugt. Im Gegenteil: «Die Kardinäle aus dem globalen Süden halten sich bezüglich Lehre mit Vorliebe an das, was immer gegolten hat.» Sollte einer von ihnen dereinst die Nachfolge von Franziskus antreten, sieht es für Reformen also düster aus. (kath.ch)

Das Buch: Michael Meier: «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist.» Herder-Verlag 2024, 202 Seiten.