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Schwerpunkt
In Jesu Namen
von Reto Stampfli
Vor 400 Jahren wurde das Kloster-Ensemble Namen Jesu in Solothurn durch eine eigene Kirche abgerundet. Die Gemeinschaft der Franziskanerinnen erhielt mit dem spätbarocken Gotteshaus ihr geistiges Zentrum. Die Geschichte der Kirche widerspiegelt auf interessante Weise auch die Entwicklungen und Veränderungen in Liturgie und Spiritualität in der katholischen Kirche.
Mitten im Solothurner Steingrubenquartier liegt das Kloster Namen Jesu, das viele nur von aussen kennen oder vom Gottesdienstbesuch in der Klosterkirche. Seit über vier Jahrhunderten lebt und wirkt in diesen Mauern eine franziskanische Schwesterngemeinschaft, deren Spiritualität sich an der heiligen Klara von Assisi orientierte und treu gepflegt und weitergegeben wurde, jedoch auch von den Entwicklungen der Zeit nicht unbeeinflusst blieb.
Das Herz des Klosters
Die Kirche, deren Eingangsportal in Richtung Herrenweg ausgerichtet ist, stellt bis heute das spirituelle Zentrum für die Schwestern vom Namen Jesu dar. Das wird mir im Gespräch klar, das ich im Oktober 2022 mit vier von ihnen führen durfte. Am 30. November 2022 findet der Weihetag dieser Klosterkirche zum 400. Mal statt, ein Jubiläum, das am Sonntag, 4. Dezember mit einem Festgottesdienst – zelebriert von Kardinal Kurt Koch – feierlich begangen wird. Obwohl die Fundamente für die Klosterkirche bereits 1618 ausgehoben worden waren, konnte das neu errichtete Gotteshaus erst 1622 durch den apostolischen Nuntius Alessandro Scappi eingeweiht werden. Die von der Stadt Solothurn entsandten Bau-
arbeiter waren kurz nach Baubeginn abberufen worden, da bei der Vergrösserung des Weinkellers des französischen Ambassadors ein Teil der Stadtmauer eingestürzt war. So führten weltliche Angelegenheiten zu einer Verzögerung bei der geistlichen und liturgischen Komplettierung des Klosterlebens.
Von der Welt geschieden
Das ursprüngliche Ziel bei der Klostergründung war der Anspruch, die bereits in Solothurn anwesenden Beginen – eine religiöse Frauenwohngemeinschaft mit wenig Regeln – zu reformieren und sie in eine Klausur zu überführen. Im Jahr 1616, nach nur acht Monaten Bauzeit, entstand der Kern des heutigen Klostergebäudes samt Kreuzgarten. Zwei Jahre später konnten die ersten Nonnen ihre Zellen beziehen. Geprägt durch die Weisungen des Konzils von Trient (1545–1563) entwickelte sich am Stadtrand von Solothurn eine strenge Klausur. Der heilige Benedikt, Begründer der westlichen Ordenstradition, verweist in seiner berühmten Regel ausdrücklich darauf, dass das Kloster in erster Linie ein Ort der Gottsuche ist. Deshalb ist die Klausur, der eigentliche Wohnbereich der Nonnen und Mönche, zu dem oft auch ein kleiner Garten gehört, geprägt von einer Atmosphäre des Schweigens. Das Weltliche soll den Tagesablauf der klösterlichen Gemeinschaft nicht tangieren. Papst Gregor der Grosse (540–604) ergänzt dazu: «Möglichst wenig soll von der Ausrichtung auf Gott ablenken, damit man ganz in sich selbst wohnen kann.»
Distanz und Nähe
Die zum Gespräch versammelten Schwestern haben die strenge Klausur alle noch selbst miterlebt. Schwester Therese Leps, die heute als Sakristanin waltet, weist darauf hin, dass auch die Umgestaltung des Kirchenraums von den veränderten liturgischen und spirituellen Gewohnheiten zeugt. So haben die Schwestern vor den für alle sichtbaren Veränderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) den Gottesdienst oft nur aus Distanz miterlebt und ein augenfälliges Gitter hat den Chorraum von der übrigen Kirche abgetrennt. Schwester Therese ist froh, dass die Schwesterngemeinschaft nun ohne sichtbare Trennung mit den anwesenden Gläubigen den Sonntagsgottesdienst feiern kann. Die Frau Mutter, Schwester Priska Käslin, hebt die zentrale Bedeutung des Stundengebets hervor. Das Stundengebet leitet sich aus den täglichen Gebetszeiten des Judentums ab und strukturiert in sämtlichen Klöstern den Tagesablauf. So besagt Psalm 119, Vers 164: «Ich lobe dich des Tages siebenmal.» Im Mönchtum der frühchristlichen Zeit betete man täglich alle 150 Psalmen. Benedikt verteilte die 150 Psalmen auf die Stundengebete einer Woche. Das Zweite Vatikanische Konzil reformierte die Liturgie und die Gebetszeiten. Seither ist es erlaubt, die 150 Psalmen über einen Zeitraum von vier Wochen zu verteilen. Im Kloster Namen Jesu gehören seit Jahren auch andere geistliche Texte und Meditationen zum Inhalt der Spiritualität. Die Schwestern empfinden das als eine bereichernde Ergänzung.
Lebensatem Spiritualität
Die Laudes ist das Morgengebet, das von den Schwestern bei Anbruch des Tages gebetet wird. Dieses Morgenlob wird um 07.30 Uhr im Chorraum gefeiert. Mit dem Symbol der aufgehenden Sonne wird dem auferstandenen Christus gedacht. Schwester Martha Walker kann sich gut daran erinnern, dass bis in die 1970er-Jahre bereits kurz nach 04.00 Uhr die ersten Gebete und um 05.00 Uhr die Frühmesse zu verrichten war. Geweckt wurden die Nonnen durch eine Holzklapper, die von einer der jüngeren Schwestern geräuschvoll durch die Gänge getragen wurde. Wichtig ist für die kleine Gemeinschaft die Vesper als abschliessendes Abendgebet. Die Vesper beinhaltet Psalmen, Hymnen, das Vaterunser, die Schriftlesung, Fürbitten und das Magnifikat. Die ehemalige Frau Mutter, Sonja Victoria Werner, schreibt im Jubiläumsbuch zum 400-jährigen Bestehen des Klosters: «Seit die Schwestern – grossenteils vor über 40 Jahren – ins Kloster eintraten, hat sich in der Welt vieles grundlegend verändert. Äussere Veränderungen konnten die Schwestern mit einiger Verzögerung nachvollziehen. [...] Der Individualisierungsprozess macht vor den Klosterpforten nicht Halt.» Diese Entwicklungen haben auch in der Klosterarchitektur ihre Spuren hinterlassen. Und so darf man sich ruhig die Frage stellen, ob primär die Gebäude und Räume eine Gemeinschaft prägen oder ob es umgekehrt der Fall ist.
Jesus im Zentrum
Die 400-jährige Klosterkirche erlebte mehrere Renovationen. Während der Gesamtrenovation zu Beginn des 20. Jahrhunderts musste die Kirche vollständig ausgeräumt werden. Zuerst wurde die Bodenabdeckung entfernt und anschliessend die darunterliegenden Grabplatten weggeschafft. Auf die Schwestern wartete eine tief berührende Aufgabe: Sie füllten Kartoffelkorb um Kartoffelkorb mit den Gebeinen ihrer Vorgängerinnen und trugen sie auf den angrenzenden Klosterfriedhof zur Wiederbestattung. Die Renovationskosten belasteten das Kloster sehr. Diese Notsituation brachte die Schwestern auf den Gedanken, mit Naturheilmitteln die Finanzen aufzubessern. Mit den Hunderten von Rezepten aus dem 17. und 18. Jahrhundert liess sich manche heilende Arznei herstellen. Die nötigen Kräuter stammten fast ausschliesslich aus dem Klostergarten. Spätere architektonische Ausbesserungen und Anpassungen mussten sie durch Landverkauf finanzieren. Doch die Klosterkirche hat zum Glück über die Jahre ihren eigenen Stil bewahrt. Der Chorraum wird durch ein mächtiges spätgotisches Holzkruzifix geprägt, das ursprünglich an der südlichen Aussenwand aufgestellt war. Bis heute ist es kunsthistorisch nicht klar zu belegen, woher dieser eindrückliche Korpus stammt. Nach einer frommen Überlieferung soll es ursprünglich im Berner Münster gehangen haben und während den Wirren der Reformation den Weg nach Solothurn gefunden haben. 1973 erhielt es seinen heutigen Platz. Für die Schwesterngemeinschaft hat der gekreuzigte Jesus hier, umgeben vom Chorgestühl, den zen-
tralen Ort, den er in ihren Gebeten und in ihrem Alltag einnimmt. Schwester Michaela Denzinger kann sich sogar daran erinnern, dass es 16 Männer brauchte, um das schwere Lindenholz-Kreuz in die Kirche zu tragen. In Kombination mit den gotischen Fenstern, der spätgotischen Kreuztragungsgruppe an der rechten Seitenwand, der Madonna mit Kind – aus derselben Zeit – ist so ein stimmiger Andachtsraum entstanden. Das Kreuz als Blickfang in der Mitte erinnert die Schwestern jeden Tag daran, dass all’ ihr Tun und Wirken bis heute in Jesu Namen erfolgt.

Historische Quelle: Leben im Kloster Namen Jesu. Paulus Verlag, Freiburg i. Ue. 2009 und Sonja Viktoria Werner: Die Spiritualität hinter der Klostergeschichte vom Namen Jesu und seiner Grossen und Kleinen Chronik. In: Jahrbuch für Solothurner Geschichte. 82. Band, 2009, S. 8–15.