Focus

«Du sollst Dir kein Bild machen»

Odilo Noti ist Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos Schweiz. Zudem präsidiert er die Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche.

Der vollständige Text: https://www.kath.ch/newsd/du-sollst-dir-kein-bild-machen-in-erinnerung-an-dorothee-soelle/

Die bekannte deutsche Theologin und Dichterin Dorothee Sölle hat sich mit Gottesbildern auseinandergesetzt. Zu ihrem 20. Todestag denkt Odilo Noti darüber nach, welche Relevanz die evangelische Theologin bis heute hat. 

Das Bilderverbot ist ein merkwürdiges Verbot aus einer anderen Zeit. Als Sölle einmal mit Kolleginnen und Freunden zusammensass, hat sie auf ihre anschauliche Art erzählt, sie sei sicher über hundertmal von Journalisten gefragt worden: «Was für ein Bild von Gott haben Sie eigentlich?» Sölle brummte dann manchmal, sie habe kein Bild von Gott. Schliesslich dürfe man nach den Geboten der Bibel keines haben. Oder sie bemerkte, sie habe mal dieses, mal jenes Bild – Vater oder Mutter. Es komme darauf an, wo und wann sie Gott begegne.

Manchmal wurde sie auch böse und fauchte: Können Sie denn nicht für ein paar Sekunden den blöden kleinen Kasten beiseitelegen, mit dem Sie Ihre Bilder schiessen. Gerechtigkeit kann man nicht filmen, den Trost nicht fotografieren, die Menschenfreundlichkeit nicht dokumentieren. Gott wird manchmal sichtbar – er steht aber nicht zur Verfügung. Deshalb kann man von ihm auch keine Bilder knipsen. Sölle macht damit auf ein uraltes Gebot aufmerksam. Es ist das zweite der Zehn Gebote aus dem ­Alten Testament. Wenn man sich von Gott kein Bild machen soll, dann muss zunächst einmal Gott geschützt werden. Gegenüber kirchlichen und weltlichen Machthabern, gegenüber Ideologen und Fundamentalisten. Das Bilderverbot richtet sich gegen all jene, die Gott und Religion für ihre unheiligen Zwecke ­vereinnahmen wollen. Und gegen alle, die meinen, Gott und die Wahrheit zu besitzen. 

Odilo Noti