Editorial

«NIEMAND VON UNS IST ­UNSCHULDIG»

Vom berühmten Psychoanalytiker und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick stammt der auf den ersten Blick irritierend wirkende Satz: «Man kann nicht nicht kommunizieren.» Der aus Wien stammende Autor war überzeugt, dass jede Kommunikation eine Art Verhalten ist, und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man auch nicht nicht kommunizieren. Ein bewusstes Schweigen ist also ebenfalls eine Art von Kommunika­tion; eine Kommunikation, die jedoch das Gegenüber in keiner Form ernst nimmt und auf die Dauer zu einem massiven Vertrauensverlust führt. 

Dieses Schweigen und Ausharren wurde und wird leider noch immer nicht selten von kirchlichen Autoritäten praktiziert. Den vatikanischen Medienstellen wurde lange Zeit vorgeworfen, dass es in heiklen Fragen aufschlussreicher sei, darauf zu achten, was in den Verlautbarungen nicht gesagt wird als auf den effektiven Inhalt der Mitteilung. Doch auch auf diözesanen Ebenen kam es und kommt es immer wieder zu oft unabsichtlich herbeigeführten Kommunikationspannen – das Verhalten gewisser Autoritäten in der Missbrauchsdebatte spricht Bände. Natürlich passieren ähnliche Missgeschicke in anderen Institutionen auch, doch es ist schmerzlich, wenn gerade die Kirche, die sich als Organisation speziell der gewaltfreien Kommunikation und dem konstruktiven Austausch zwischen den Menschen verpflichtet hat, in diesen Belangen offensichtlich versagt.

«Man kann nicht nicht kommunizieren.» Diesen Grundsatz haben einige Kirchenvertreter – auch in der Schweiz – immer noch nicht begriffen und versuchen «die Sache» auszusitzen. Nicht zuletzt die Missbrauchsdebatte hat jedoch einen Positionswechsel in Gang gebracht. Joseph Bonnemain fällt in diesem Zusammenhang regelmässig als ein agierender und nicht nur reagierender Bischof auf und Felix Gmür liess in einem Interview zur aktuellen Missbrauchsstudie mit der Aussage aufhorchen: «Niemand von uns ist unschuldig. Ich weiss, dass ich nichts vertuscht habe. Und dass ich keinen Übergriff begangen habe. Auch habe ich keine Täter geschützt. Aber vielleicht habe ich in diesem oder jenem Fall trotzdem nicht adäquat reagiert. Die Studie wird es uns zeigen.» An dieser Aussage wird Bischof Gmür gemessen werden; viele Christinnen und Christen im Bistum Basel sind jedoch froh, dass er so offen und auf Augenhöhe kommuniziert. 

Mit besten Grüssen
Reto Stampfli