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Schwerpunkt
Religion ist Werkzeug, um auf dem Amboss des Lebens das Glück zu schmieden
von Wolfgang Holz / kath.ch
Gemäss dem neuesten «Weltglücksbericht» sind die Finnen nun schon zum siebten Mal in Folge die glücklichsten Menschen auf der Welt. Die Schweiz liegt auf Platz neun. Das unglücklichste Land ist offenbar Afghanistan. Religion als Glücksfaktor taucht nicht auf. Doch wie glücklich machen Religion und Glaube?
Eine finnische Volksweisheit besagt: Man muss nicht neidisch sein. Denn auch, wenn ein anderer etwas Besonderes hat oder kann: Mir fehlt trotzdem nichts, er hat es mir schliesslich nicht weggenommen. Finnen sind offensichtlich glücklich, weil zum Beispiel in den Schulen nicht nur Fächer wie Mathematik, sondern auch emotionale Fähigkeiten auf dem Lehrplan stehen. Kommunikation und Teamfähigkeit werden grossgeschrieben, sagt der Weltglücksbericht. Ein sehr hohes Mass an Chancengleichheit bestehe in Bezug auf Bildung, Gesundheit und soziales Ansehen. Von Religion ist nicht die Rede.
«Kirche als Institution macht mich heute unglücklich»
Aber macht nicht auch der Glaube glücklich? Kath.ch fragte nach bei Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirche und anderer Glaubensgemeinschaften. «Das ist eine etwas ungewohnte Frage für meine Ingenieursdenkweise», sagt Roland Loos. Der neue RKZ-Präsident hat das Amt der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz in stürmischen Zeiten übernommen. «Die Kirche als Institution macht mich ja heute wohl eher unglücklich.» Es gebe zu viele schwierige Baustellen, notwendige Veränderungen würden unterdrückt, es herrsche ungenügende Transparenz, meint der gebürtige Luxemburger. «Aber: Mein Glaube an den auferstandenen Jesus Christus und die Überzeugung, dass es nach dem Tode nicht fertig ist, das trägt seit Langem zu meinem Lebensglück, zu meiner Lebensfreude und zu meinem Optimismus bei», bekennt der 62-jährige Kirchenfunktionär.
«Religion ist wie Benzin fürs Auto – sie gibt mir Energie»
Gemma Cisternino ist Religionslehrperson in der Pfarrei Baden-Ennetbaden. «Ich stimme voll und ganz zu, dass Religion glücklich macht. Für mich ist Religion wie Benzin für ein Auto – sie gibt mir Energie, Kraft und Zufriedenheit.» In einer Welt voller Herausforderungen und mit zunehmendem Stress würden viele Menschen nach einem Weg mit Zufriedenheit und Glück suchen. Für sie sei die Religion eine Quelle dafür. «Es ist mir sehr wichtig, eine offene und vertrauensvolle Umgebung zu schaffen, in der Kinder und Jugendliche ihre religiösen Fragen stellen können. Rituale, gemeinsame Gebete, Singen und Meditationen sind für mich ebenfalls von Bedeutung. Die Einbeziehung von Werten wie Dankbarkeit, Respekt und Demut kann dazu beitragen, dass junge Menschen ein tieferes Verständnis entwickeln und dadurch innere Zufriedenheit finden», sagt Gemma Cisternino. «Ich beobachte immer wieder, dass Menschen mit religiösem Glauben tendenziell gelassener sind und besser mit schwierigen Situationen im Leben umgehen können.»
«Sinnhaftigkeit, Zufriedenheit, Nestwärme …»
Für Stefan Staub, Diakon und Pfarreileiter der katholischen Kirchgemeinde Teufen-Bühler-Stein, lautet die plakative Antwort: Ja. Religion macht glücklich. «Nur aber: Was ist denn Glück überhaupt?», fragt sich der Seelsorger. In seinem Definitionsrahmen stehen hierfür Gefühle wie Sinnhaftigkeit, Zufriedenheit, Nestwärme, Sicherheit, Annahme. Bekanntlich sei jeder Mensch Schmied des eigenen Glücks. «Glaube, Religion und Spiritualität bringen nicht das Glück per se. Sie sind vielmehr Werkzeuge, um das Glück auf dem Amboss des Lebens zu schmieden», drückt es Staub lebendig-bildhaft aus. «Wenn Menschen den ganz normalen Wahnsinn des Alltags auf die Grundlage ihrer Glaubens- und Gottesbeziehung stellen, kann christlicher Glaube, wie ich ihn erlebe, das Leben sinnvoller, leichter, sprich: glücklicher werden lassen.»
«Jein»
Ob Religion tatsächlich glücklich macht, lässt sich laut Nazar Zatorskyy nicht einfach mit «ja» oder «nein» beantworten. Zatorskyy gehört der ukrainischen Gemeinde der griechisch-katholischen Kirche der Schweiz an und ist Seelsorger in Zürich. «Religion ist ein vielschichtiges Phänomen, das sowohl eine persönliche als auch eine öffentliche, institutionelle Komponente umfasst. Wenn man nach der persönlichen Komponente fragt, so ist meine Antwort wieder ‹jein›, je nach dem Aspekt», ist er überzeugt. Denn einerseits gebe es zahlreiche Vorschriften und Beschränkungen, welche die persönliche Freiheit begrenzen und gewisse Verhaltensregeln auferlegen, so der 44-Jährige. «Dies kann unter Umständen als eine Last oder als Unterdrückung empfunden werden.» Auf der anderen Seite funktioniere der Glaube als eine wirksame Antwort auf das grösste menschliche Problem, die grösste Herausforderung unserer Zeit, vielleicht sogar aller Zeiten: die menschliche Einsamkeit. «Nach dem Wort der Heiligen Mutter Teresa ist die Einsamkeit die schlimmste Krankheit des Menschen», sagt Zatorskyy. Im Bewusstsein zu leben, «Ich bin nicht allein, ich habe ein Gegenüber, mit dem ich immer sprechen kann», das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, der Geborgenheit in Gott, sei es seines Erachtens wert, auch gewisse Beschränkungen und Verpflichtungen auf sich zu nehmen.
«Anleitung zum Glücklichwerden»
Ivan Saric ist kroatischstämmig und ein junger Seelsorger. Der 33-Jährige wurde vor einem Jahr in der Kathedrale St. Gallen zum Priester geweiht. Er wirkt als Kaplan in der katholischen Pfarrei Bruder Klaus in Winkeln. «Ich finde schon, dass Religion glücklich machen kann», sagt er. Das Glück würde aber nicht vom Himmel herabfallen – sondern man müsse daran arbeiten. «Wenn man Religion so lebt, dass es befreit, kann es glücklich machen.» Früher habe er immer geglaubt, man habe Gottes Gebote zu erfüllen, um das persönliche Glück zu erreichen. Doch inzwischen wisse er, dass Gott die Gebote als Richtlinien und Regeln entworfen habe. «Als Anleitung eben, um in seinem Leben glücklich zu werden.»
«Eine Art von Glück»
Reverend Jackie Sellin ist anglikanische Pfarrerin der St.-Andrews-Gemeinde in Zürich. Sie findet die Frage, ob Religion glücklich mache, sehr interessant. «Ich bin mir aber nicht sicher, ob ‹glücklich› das richtige Wort für die Gefühle ist, die der Glaube und das Christsein in einem auslösen», gibt sie zu bedenken. «Als Christin werde ich immer noch die Höhen und Tiefen des Lebens erleben, aber ich habe das Gefühl, dass das Christsein, der Glaube, mir sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten helfen kann.» Als Christin wisse sie auch, dass Gott alles, was sie im Leben durchmache, auch schon erlebt habe, und dass er das Schlimmste, was das Leben einem antun könne, durchgemacht habe. «Das gibt mir Trost – es nimmt mir zwar nicht den Schmerz oder das Problem, aber es gibt mir Hoffnung, dass ich nicht allein bin, was auch immer geschieht. Für gläubige Menschen ist das eine Art von Glück.» Jackie Sellin ist auch überzeugt, dass es den Gemeinschaftsaspekt des Glaubens gebe. «Als Christin bin ich Teil einer grossen Gemeinschaft, die mich unterstützt und ermutigt und für mich betet – was wiederum eine Quelle der Freude ist.»
Ganz pointiert-ambivalent bringt es Meinrad Furrer, Leiter des Teams der Luzerner Peterskapelle und katholischer Theologe, auf den Punkt. «Religion macht nicht glücklich. Zu sehr ist Religion in Systemen erstarrt. Und diese Systeme haben Angst und Unfreiheit begünstigt. Religion macht glücklich. Sie schafft einen Boden für Urvertrauen. Sie öffnet das Leben hin auf mehr Breite und Tiefe. Sie verbindet mit dem Ganzen der Wirklichkeit. Zum Glück war Zweiteres immer stärker in meinem Leben.»