Schwerpunkt

100 Jahre Schwesterngemeinschaft Seraphisches Liebeswerk Solothurn

von Silvia Rietz

Das Seraphische Liebeswerk Solothurn (SLS) ist ein Verein, der auf christlicher Grundlage ­verschiedene Sozialwerke führt. Diese stehen besonders im Dienst von Kindern, Jugendlichen, Paaren und Familien. Die Gründung des Vereins erfolgte 1919, und im Zusammenhang mit dem Verein SLS entstand 1924 die franziskanische Schwesterngemeinschaft SLS, deren Mitglieder die sozialen ­Aufgaben des Vereins als Lebensaufgabe wählten.

«Was die Schwesterngemeinschaft bis auf den heutigen Tag auszeichnet, ist ihre tiefe Verbundenheit mit Gott und den Menschen; den Menschen in ihrer vielfältigen Not», erklärte Weihbischof Josef Stübi in seiner Predigt zum Jubiläum «100 Jahre Schwesterngemeinschaft Seraphisches Liebeswerk ­Solothurn», welches just an dem Sonntag im Mai gefeiert wurde, als das Schweizer Fernsehen den Dokumentarfilm «Né à Belfond – Versteckt geboren» ausstrahlte. Die da­rauffolgenden Medienberichte stützten sich auf Einzelfälle von Müttern, die ihre später zur Adoption freigegebenen Kinder in Belfond zur Welt brachten. Sie zeigten dabei wenig Empathie für die Gegebenheiten der 1960er-Jahre. Käthy Arnold, Oberin der Schwesterngemeinschaft und Präsidentin des Vereins Seraphisches ­Liebeswerk Solothurn (SLS), erzählt vom Entstehen und Wirken der Gemeinschaft SLS. 

Wie hat die Geschichte des SLS begonnen?
Käthy Arnold: Im Jahr 2019 waren es hundert Jahre, seit das Seraphische Liebeswerk Solothurn als Verein mit sozial-karitativen Zielen gegründet wurde. Es war ein Start mit vielen Ungewissheiten. Doch die Not der damaligen Nachkriegszeit machte drei Mitglieder der franziskanischen Laiengemeinschaft in Solothurn zu «Verbündeten für Menschen in Not». Dies waren der Kapuziner und Krankenpater Florian Walker, der junge Arzt Fritz Spieler und seine spätere Ehefrau Hilda Spieler-Meyer. Auf ihre Initia­tive hin wurde der Verein SLS gegründet, der sich die Hilfe für Kinder und Familien in Not zur Aufgabe machte. 

Kurze Zeit nach der Vereins­gründung entstand auch die Schwesterngemeinschaft SLS, in der sich junge Frauen ehrenamtlich den Vereinsaufgaben widmeten und dies als Lebensaufgabe wählten. Wie entwickelten sich die Gemeinschaft und das Sozialwerk weiter?
Käthy Arnold: Die ersten von ihnen, damals «Fürsorgerinnen» genannt, fanden 1924 in einem einfachen Riegelhaus an der Gärtnerstrasse in Solothurn ihren Wohn- und Wirkungsort. 

In den Folgejahren wurde das kleine Haus zum stark belebten Zentrum für vielfältige Zwecke. Stetig neue Aufgaben und die wachsende Zahl von «Fürsorgerinnen» erforderten bald eine grössere Liebeswerkzentrale. Diese konnte vor 90 Jahren neben dem Riegelhaus mit dem Bau des Antoniushauses und der Kapelle realisiert werden. 

In den folgenden Jahrzehnten wurden quer durch die Schweiz soziale Einrichtungen und Niederlassungen unter der Federführung des SLS ins Leben gerufen. Auch das Heim für ledige Mütter in Belfond, über welches das SRF den Dokumentarfilm «Né à Belfond – versteckt geboren» ausstrahlte.
Käthy Arnold: Dieses Heim und der Dokumentarfilm sind ein konkretes Beispiel, wie sehr auch gesellschaftliche Wertungen einer bestimmten Epoche und die dadurch bedingten Nöte zu Hilfsangeboten führten. In der Zeit, als das Mütter- und Säuglingsheim in Belfond durch das SLS eröffnet wurde, hatten werdende Mütter, die nicht verheiratet waren, in der Gesellschaft ­wegen der damaligen moralisierenden ­Haltungen und Urteile einen schweren Stand. Oft sahen sie sich gedrängt, mindestens für einen Teil der Schwangerschaft abseits von ihrem gewohnten Umfeld zu leben. Ihr Bedürfnis nach einem Rückzugsort, mit der Möglichkeit, dort zu gebären, war oft ausgeprägt. Nicht selten kamen Aufenthalte in Belfond auf Druck von Angehörigen oder anderen Bezugspersonen oder Instanzen zustande. Dies besonders bei schwangeren Frauen, die noch minderjährig, das heisst nach damaligem Gesetz unter 20 Jahre alt waren. Die SLS-Schwestern wollten einfach für die Mütter und Kinder da sein und so gut als möglich zu positiven Entwicklungen beitragen. 

Wie stellen Sie sich dem Vorwurf der Medien, den Müttern die ­Kinder weggenommen und zur Adoption freigegeben zu haben?
Käthy Arnold: Die Entscheide, welche Lösung für die in Belfond geborenen Kinder in Frage kommen sollte, war nicht Sache der in Belfond tätigen SLS-Schwestern. Je nach Einzelfall waren es die Mütter selber oder (besonders bei Minderjährigen) deren Eltern oder Vormundschaftsbehörden, welche die Entscheide getroffen oder massgeblich beeinflusst haben. Was den Anteil an Adoptionen betrifft, möchte ich hier erwähnen, dass es bei den in Belfond geborenen Kindern bei 20 Prozent zu einer Adoption kam. In mindestens doppelt so vielen Situationen wurden die Kinder von den Müttern nach Hause genommen und in ihrer Familie oder bei Verwandten oder Bekannten untergebracht. Ein weiterer Teil der Kinder wurde durch zuständige Stellen in Pflegefamilien oder Heimen platziert. Gewiss hat sich der damalige Zeitgeist oft auch erschwerend auf die Entscheide und deren Vollzug ausgewirkt. Bei der Darstellung in Medienberichten vermisse ich teilweise die Objektivität und das Differenzieren. Der Leserbrief von Christian von Arx in der ­«Solothurner Zeitung» vom 6. Juli 2024 bringt die dazumalige Situation auf den Punkt: «Es ist schlimm, dass es damals eine Institution wie Belfond brauchte, aber es ist gut, dass es sie gab.» 

Zurück zur Schwesterngemeinschaft: Wie hat sich diese entwickelt und wie viele Schwestern umfasst sie heute?
Käthy Arnold: Vor 50 Jahren zählten wir nahezu 200 Mitschwestern, die in den rund 20 Niederlassungen lebten und wirkten. Heute sind wir noch 26 Schwestern. Tiefgehend und aufbauend war die Gründung der Gemeinschaft der Franciscan Sisters FSpIF auf den Philippinen. Diese umfasst aktuell rund 50 philippinische Schwestern, die auf verschiedenen Inseln unterprivilegierte Menschen fördern und ihnen helfen. Einige der philippinischen Schwestern leben seit Jahrzehnten mit uns in Solothurn und erfüllen dabei wichtige Aufgaben. Zudem setzten sich viele angestellte Mitarbeitende mit Hingabe in den verschiedenen Arbeitsbereichen des SLS und im Wohn- und ­Pflegeheim unserer Gemeinschaft ein. 

Wie in anderen Gemeinschaften kämpft auch das Seraphische Liebeswerk Solothurn mit Nachwuchssorgen und befasst sich mit Zukunftsszenarien. Wie sehen Sie die Zukunft des SLS?
Käthy Arnold: Wir sind dabei, tragfähige Zukunftsoptionen zu prüfen. Dabei lassen wir uns vom Motto leiten, die eigenen Grenzen zu kennen. Das ist das eine, sich darin ergänzen zu lassen, jedoch das Entscheidende. Diese Erfahrung und das Vertrauen auf Gottes Führung und seine sorgende Vorsehung lassen uns den Übergang ins zweite Jahrhundert mit den Worten von Dag Hammarskjöld unter die Füsse nehmen: 

«Für das Vergangene DANK, für das Kommende JA!»  

 

 

Silvia Rietz ist Journalistin, Konzert­veranstalterin, engagierte Christin und Redaktions­leiterin des Antoniushefts. Sie gehört zum Redaktionsteam des «­Kirchenblatts».