Aktuelle Nummer 21 | 22 | 2024
06. Oktober 2024 bis 02. November 2024

Jugend

«… für ein besseres Leben und für eine bessere Welt.»

von Daniele Supino

Dawit Okbamichael ist 22 Jahre alt und arbeitet als Abwart und Gärtner im Kloster Namen Jesu. In seiner Kindheit ministrierte er 10 Jahre lang. Vom 1.– 12. August verbrachte er mit 13 Jugendlichen ein Sommercamp des IBZ in Agrigent und auf Lampedusa, Drehkreuz der Immigration aus Nordafrika nach Europa.

Dawit, hast du diese Reise gemacht, um einen Abschnitt des Leidenswegs deines Vaters nachzuerleben? 
Nicht nur. Ich hätte es auch getan, wenn ich Schweizer oder Amerikaner wäre. Die Immigration gehört nicht nur zu meiner Familiengeschichte, sie ist Teil der Menschheitsgeschichte. 

Was nimmst du mit von dieser ­Erfahrung in Sizilien?
Jetzt verstehe ich, was es heisst, das ganze Risiko auf sich zu nehmen – für ein besseres Leben und für eine bessere Welt. Und die menschliche Wärme und Aufnahmewillen in Lampedusa hat mich überwältigt. Ich spüre so viele Emotionen in mir ... Auf Lampedusa habe ich versucht, sie in Worten auszudrücken:

 

Lieber Dawit, wir danken dir für deine eindrücklichen Worte. Was du erlebt hast, ist wirklich schwer in Worten zu fassen. 

Ein Vogel, der sein Nest verliert, mag scheinbar alles verloren haben, doch in dieser scheinbaren Leere liegt die Chance auf Neuanfang. Der Verlust wird zur Quelle der Stärke, um die Flügel zu erheben und neue Horizonte zu erkunden. So wie der Vogel in seiner Verletzlichkeit den Mut findet, sein Zuhause hinter sich zu lassen, sind auch wir dazu berufen, die Komfortzone zu verlassen und uns dem Unbekannten zu stellen.

Lampedusa, ein Ort des Ankommens und des Abschieds, ein Zeuge der Seelen, die im Meer ihre letzte Ruhe finden. Die tiefgreifende Trauer, die die Flüchtlinge durchleben, wirft einen Schatten auf meine Seele. Es erinnert mich daran, wie die Menschheit in ihrer Verletzlichkeit und ihrem Leid miteinander verbunden ist. Das Leiden der anderen zu sehen, ruft in mir Fragen nach dem Sinn und der Gerechtigkeit des Lebens hervor. Es fordert mich heraus, über die Natur des Leids und die Rolle des Mitgefühls in einer Welt voller Schmerz und Ungerechtigkeit nachzudenken. Mögen alle Seelen, die auf der Suche nach Frieden waren, im Licht der Ewigkeit Trost finden, und möge uns Vergebung zuteil werden.

In den Tiefen des Lebens, wo die Schatten der Entscheidung schwer lasten, offenbart sich die Essenz des Menschseins. Wie tief muss man sinken, wie weit muss man fallen, um den Ruf nach Veränderung zu hören, der so stark ist, dass er den Mut entfacht, sein Leben aufs Spiel zu setzen? In dem Streben nach einer besseren Zukunft, in dem Drang, dem Unbekannten entgegenzutreten, können wir verloren gehen und dennoch mehr finden als das, was wir zurücklassen.

Respekt vor dem Meer, Respekt vor der Natur, vor ihrer unerbittlichen Kraft. Doch in der Verzweiflung, wenn keine Flucht möglich scheint, verblasst dieser Respekt, und die Grenzen zwischen Mut und Wahnsinn verschwimmen. Die Schicksale der Migranten, ihre Reise durch die Dunkelheit, durchleuchten die Schatten unserer Menschlichkeit, durchdringen unsere Herzen wie ein schmerzhafter Stich.