Yvonne Bieri-Häberling
Schmucke Kirchen täuschen über die finanzielle Lage hinweg.
Schwerpunkt
Gefährdete Kirche(nfinanzen)?
von Urban Fink-Wagner
Früher die Skandale der Vatikanbank und heute schwindende Finanzen durch Kirchenaustritte – immer aber auch Hilfe für sozial Benachteiligte und Randständige: Das Thema Kirchenfinanzen ist immer wieder ein Anreger oder Aufreger – und heute topaktuell.
Bei allen Schwierigkeiten im Umgang mit Geld in der Kirche gilt, dass es ohne Geld nicht geht. Zu meinen, dass mit einer armen Kirche mehr Glauben möglich würde, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wären dann die Priester – Laienkräfte könnten dann nicht mehr bezahlt werden – einfach nach dem Motto «wes Brot ich ess, des Lied ich sing» von den Brosamen der reichen Katholiken abhängig.
Was ist Kirche?
In der Kirche berühren sich Himmel und Erde, und wir erhoffen uns diesen neuen Himmel und eine neue Erde, aber als Christinnen und Christen leben wir unter zum Teil ganz irdischen Bedingungen. Wer Christ sein will, muss sich auch diesen irdischen Herausforderungen stellen mit dem Ziel, möglichst sinnvoll Geld auszugeben und Missbrauch auch in diesem Bereich zu verhindern.
Die Einnahmen der Kirche
In der Deutschschweiz, wo es Kirchgemeinden und Kirchensteuern gibt, stammt der grösste Teil der Einkünfte aus den Kirchensteuern, während die Westschweiz und das Tessin mit gewissen Ausnahmen spendenfinanziert sind. Hinzu kommen Beiträge der öffentlichen Hand, Kollekten wie etwa die Bettagskollekte der Inländischen Mission, Vermögenserträge, Einnahmen aus Dienstleistungen und Leistungsvereinbarungen, Denkmalpflegebeiträge, Jugend-&-Sport-Beiträge usw. Die Gesamteinnahmen können nicht eruiert werden. Die Einnahmen aus Kirchensteuern von Privaten und Unternehmen erreichten im Jahr 2019 mit 1072 Mio. Franken ihren Höchststand. Mit den zunehmenden Kirchenaustritten und der Infragestellung der Kirchensteuerpflicht von Unternehmen in den Kantonen, wo diese noch vorgeschrieben ist, ist längerfristig mit massiv weniger Einnahmen zu rechnen.
Die Situation im Kanton Solothurn
Die 72 römisch-katholischen Kirchgemeinden sind Empfängerinnen der Kirchensteuerbeiträge von Privaten. Die relativ vielen kleinen Kirchgemeinden im Kanton Solothurn haben aufgrund der in den letzten 15 Jahren zahlreichen Kirchenaustritte bereits jetzt finanzielle Engpässe. Die Kirchensteuer von Unternehmen (Finanzausgleichssteuer FIAG KG) wurde vom Kanton Solothurn 2019 auf 10 Mio. Franken gedeckelt. Der Überschuss aus guten Jahren kommt in die Staatskasse, bei Einnahmen unter 10 Mio. Franken muss der Kanton aus allgemeinen Mitteln aufrunden. Die 10 Mio. Franken werden unter die drei Landeskirchen aufgeteilt. Damit werden nicht nur die Kirchgemeinden, vor allem die ärmeren, unterstützt, sondern via die römisch-katholische Synode des Kantons Solothurn und Kirchgemeindebeiträge auch kantonale Aufgaben und kantonale Fachstellen finanziert. Wer die kirchliche Unternehmenssteuer infrage stellt, wie das in vielen Kantonen geschieht und im Kanton Solothurn die Jungfreisinnigen vorantreiben, gefährdet die Finanzierung der kirchlichen Arbeit auf kantonaler Ebene, schwächt aber auch die Kirchgemeinden.
Personalmangel und Kirchenüberfluss
Neben dem Verlust an Kirchgemeindeangehörigen zeigt sich seit einiger Zeit ein Mangel an kirchlichem Personal, was finanziell etwas Entlastung bringt, obwohl Sparen am Personal falsch wäre. Keine Entlastung aber gibt es im Bereich der Immobilien. 1945 bis 1980 wurden in der Schweiz mit über 1000 Kirchen so viele Sakralgebäude errichtet wie nie zuvor – einige davon auch im Kanton Solothurn, in diesen Jahren nun mit grossem Restaurierungsbedarf. Die prognostizierten hohen Katholikenzahlen wurden nicht Realität, sodass einzelne Kirchengebäude bereits jetzt überflüssig und für die Kirchgemeinden eine (zu) grosse Last sind. Hier sind also der Mut zur Reduktion, die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, vielleicht sogar Kirchgemeindefusionen gefragt, damit Kirchgemeinden längerfristig nicht finanziell handlungsunfähig werden.
Sehr kostengünstige, aber wertvolle Leistungen zugunsten der Allgemeinheit
Jedes Kirchengebäude prägt das Ortsbild und schafft Identität, und jede Kirchgemeinde und Pfarrei leistet finanziell kostengünstige, aber über die eigene Gemeinschaft hinaus wertvolle Arbeit, die allen zugutekommt. Zahlreiche Untersuchungen belegen dies. 2007 zeigte die Fachhochschule Nordwestschweiz für den Kanton Solothurn auf, dass Haupt- und Ehrenamtliche in den drei Landeskirchen für 27,5 Mio. Franken Lohngegenwert – der so nicht aufgewendet werden muss – soziale Arbeit leisten und günstig der Allgemeinheit Raum zur Verfügung stellen. Könnten die Landeskirchen und die Kirchgemeinden diese Leistungen nicht mehr erbringen, müsste in gewissen Bereichen der Staat einspringen – aber zu massiv höheren Kosten.
Was passieren wird, wenn die Kirchgemeinden ihre Kirchen nicht mehr unterhalten und restaurieren können, ist eine noch offene Frage, der Eintretensfall aber wahrscheinlich.
Desolidarisierung und «Schnäppchendemokratie» als Zukunft?
In der Stadt Solothurn gehört heute, vergleichbar mit der Stadt Basel, nur noch ein knapper Drittel der Bevölkerung zu einer Landeskirche. In den Landgemeinden zeigt die Entwicklung etwas langsamer in die gleiche Richtung. Ähnliche Schwierigkeiten wie die Kirche hat auch die Gesellschaft, so etwa im Vereinswesen und bei den politischen Parteien. Es findet eine Desolidarisierung statt, die kurzfristig dem einzelnen vielleicht ein paar Franken spart, aber langfristig unser System infrage stellt. Der kürzlich verstorbene deutsche Politiker Wolfgang Schäuble, ein praktizierender evangelischer Christ, warnt in seinen Memoiren, die Demokratie als Supermarkt für «Schnäppchenjäger» zu begreifen. Die «Schnäppchenjäger»-Haltung aber gewinnt auch bei uns an Boden, während das Gegenteil nötig ist: der Beitrag für das Gemeinwohl durch möglichst viele. Die Kirche ist in diesem Punkt ein Vorbild.
Mut zur Wahrheit
Die Kirche ist gegenwärtig in einer Krise. Sie und ihre Gläubigen müssen sich aber nicht klein machen, denn in der Kirche gibt es viel mehr Gnade als Sünde – trotz aller Fehler und Missbräuche, für welche die Kirche selbstverständlich hinstehen muss. Hier gilt der Mut zur Wahrheit, und zwar nicht nur im Negativen, sondern auch im Positiven. Wir dürfen als Glieder dieser Kirche darauf hinweisen, dass die sog. öffentliche Meinung nicht immer die Realität wiedergibt. Dies gilt gerade für den Pilotbericht zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, der vor einem Jahr erschienen ist und wissenschaftlich weder methodisch noch inhaltlich zu überzeugen vermag. Dass die Kirche wie wohl kaum eine andere Organisation in den zwei letzten Jahrzehnten Massnahmen gegen den sexuellen Missbrauch umsetzt, scheint im Pilotbericht nicht auf. Das Narrativ (auch als Begründung für viele Kirchenaustritte), dass die Kirche nicht viel mehr ist als Missbrauch, stimmt nicht.
Mut zur Hoffnung
Mit dem Karfreitag war scheinbar für die Jüngerinnen und Jünger alles verloren, aber mit Ostern begann neues Leben. Die Auferstehung Jesu Christi ist auch heute nicht vergangen, sondern sie hat Zukunft: Wider alle Hoffnung gibt sie Grund zur Hoffnung auf den Sieg des Lebens über den Tod, auf den Sieg der Gnade über das Unzulängliche und Fehlerhafte – auch in der Kirche von heute. Packen wir also einfach an und haben wir den Mut, auch weiterhin Geld für das kirchliche Leben einzusetzen!
Der Historiker und Theologe Urban Fink-Wagner ist Geschäftsleiter der Inländischen Mission und fungiert beim «Kirchenblatt» als Chefredaktor-Stellvertreter und Redaktionsmitglied.