Kirchenhistoriker über erste katholische Messe in Bern: «Das muss eine Sternstunde gewesen sein»

Ausgerechnet die französischen Besetzer haben Ende 18. Jahrhundert den Weg zum ersten katholischen Gottesdienst nach der Reformation in Bern geebnet. Ein Gespräch mit dem Kirchenhistoriker Urban Fink – zum 225-Jahr-Jubiläum in Bern.

Regula Pfeifer

Die Berner Kirche feiert 225 Jahre Katholisches Leben in Bern. Wie kam es zum ersten katholischen Gottesdienst?

Urban Fink*: Bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft war der evangelisch-reformierte Glaube Staatsreligion. Katholische Gottesdienste wurden nicht geduldet. Mit dem Einmarsch der Franzosen 1798 wurde erstmals in der Geschichte der Schweiz die Religionsfreiheit eingeführt und Gottesdienste für katholische französische Soldaten und Diplomaten verlangt.

So kam es zur ersten öffentlichen Messe in Bern, die der Freiburger Franziskanerpater Gregor Girard, ein berühmter Pädagoge und Geistlicher, im Chor des Berner Münster lesen durfte.

Was löste jener Gottesdienst aus?

Fink: Vorerst nicht viel, da es im Kanton Bern nur wenige Katholiken gab. Es war aber der Anfang einer langen, sich stetig verbreiternden Gottesdienst- und katholischen Glaubenstradition, die glücklicherweise bis heute gepflegt wird. Der erste öffentliche katholische Gottesdienst nach Einführung der Reformation in Bern im Jahre 1528 muss ein ausserordentlich intensives Erlebnis gewesen sein, für Pater Girard, den Zelebranten, eine eigentliche Sternstunde.

Woher stammten die Katholikinnen und Katholiken, die damals in Bern wohnten? Und was brachten sie ein?

Fink: Es handelte in den Jahren 1799 bis 1803, als Bern erstmals Hauptstadt der Schweiz war, um Diplomaten, um italienische Gastarbeiter, ausländische Soldaten und katholische Amtsträger der Helvetischen Republik. Dieser Kreis war noch sehr klein. Die Zeit der Helvetik ermöglichte zwar katholisches Leben in Bern, war aber auch durch kirchen- und klosterfeindliche Tendenzen gekennzeichnet.

Wo feierten die Katholikinnen und Katholiken den Gottesdienst – vor dem Bau der Dreifaltigkeitskirche?

Fink: Zuerst im Chor des Berner Münsters, dann über längere Zeit in der Französischen Kirche, der ehemaligen Klosterkirche der Dominikaner. Zwischen 1864 und 1875 feierten sie in der selbst erbauten Kirche Peter und Paul ihren Gottesdienst. Nach ihrem dortigen Rauswurf durch die Christkatholiken trafen sie sich in mehreren Provisorien, bis 1899 die Dreifaltigkeitskirche eingeweiht werden konnte.

Wie war ihre Stellung in der reformiert geprägten Bundesstadt?

Fink: Die Katholikinnen und Katholiken in Bern waren ab 1799 geduldet, aber über längere Zeit als kleine Minorität nicht mehr als das. Denn die stark mit dem Staat verbundene reformierte Kirche verhielt sich über lange Zeit als sozusagen einzige Landeskirche, obwohl die kleine christkatholische Kirche bereits ab 1875 ebenfalls öffentlich-rechtlich anerkannt war. Nach der Schaffung von römisch-katholischen Kirchgemeinden im Jahr 1939 wurde erst 1982 – nach der dafür nötigen Verfassungsänderung – eine Landeskirchenstruktur mit Synode eingeführt. Die heutige römisch-katholische Landeskirche ist also noch relativ jung.

Welche Rolle spielt die katholische Kirche heute in Bern – im Vergleich zur reformierten Kirche?

Fink: Die römisch-katholische Kirche wuchs vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg stark an und umfasst heute auch viele ausländische Menschen, so dass das kirchliche Leben vielfältig und bunt ist. Beide Kirchen haben mit Austritten zu kämpfen, die römisch-katholische etwas weniger als die reformierte. Die römisch-katholische Kirche ist aufgrund ihrer anspruchsvollen und schwierigeren Vergangenheit vielleicht etwas agiler als die über Jahrhunderte festgefügte evangelische Landeskirche, die sich vor allem auf der Landschaft an den Bedeutungsverlust und an kleinere Pfarrpensen gewöhnen muss.

Hat das starke soziale Engagement der Berner Kirche historische Wurzeln? Woher?

Fink: Auf alle Fälle! Eine Stärke des Diasporakatholizismus ist gerade die Diakonie. Die Missionsstationen und Pfarreien, die im Kanton Bern aufgebaut wurden, boten den einwandernden Katholiken Hilfe und Heimat an. Das war umso wichtiger, weil gerade im 19. Jahrhundert viele Unterschichtskatholikinnen und -katholiken aus ärmeren katholischen Kantonen in die reicheren reformierten Stadtkantone einwanderten. Da war konkrete Hilfe nötig, nicht einfach fromme Worte. Daraus entwickelte sich eine Tradition, die heute nicht mehr wegzudenken ist und paradigmatisch im offenen Haus «Prairie» und weit darüber hinaus umgesetzt wird.

*Urban Fink ist Theologe und Historiker und leitet als Geschäftsführer die Inländische Mission. Er hielt am Freitag, 21. Juni 2024, um 19.00 Uhr den Festvortrag «225 Jahre Katholisches Leben in Bern» in der Salle paroissiale der Dreifaltigkeitskirche in Bern. Weiteres Festprogramm.

Das Interview wurde schriftlich geführt.