Manuela Leimgruber: «Der Vatikan hat bedeutenden politischen Einfluss»

Frau Leimgruber, Sie sind seit dem 6. November Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Ist der Posten ein diplomatisches Abstellgleis oder ein Karrieresprungbrett?

Manuela Leimgruber*: Gleich vorweg: Für mich ist dies ein Wunschposten. Rund 170 Botschaften sind beim Heiligen Stuhl akkreditiert, davon sind über 90 in Rom.

Der Botschafterposten beim Heiligen Stuhl ist in unserem Departement begehrt. Ich empfinde die Ernennung daher auf keinen Fall als Verfrachtung aufs Abstellgleis, sondern schätze mich glücklich und fühle mich geehrt, dass der Bundesrat mir die Aufgabe anvertraut hat, die Schweizer Interessen beim Heiligen Stuhl zu vertreten.

Was sind Ihre Hauptaufgaben als Schweizer Botschafterin beim Vatikan? 

Leimgruber: Wir pflegen eine rege Besuchsdiplomatie. Gerade Anfang November war Bundespräsident Berset im Vatikan. Er führte Gespräche mit dem Papst, mit Kardinalsstaatssekretär Parolin und dem Kommandanten der Schweizer Garde. Das Botschaftsteam bereitet solche offiziellen Besuche vor und wir geben inhaltliche Inputs.

War die Missbrauchskrise Thema bei Alain Bersets Besuch?

Leimgruber: Ja, das Thema wurde auch besprochen. Leider kann ich Ihnen zu den Inhalten der Gespräche nicht mehr sagen.

Sie sind Katholikin, ist das von Vorteil, um sich im Vatikan Gehör zu verschaffen?

Leimgruber: Aus meiner Sicht spielt es keine Rolle, weder welcher Glaubensrichtung ein Diplomat oder eine Diplomatin angehört, noch ob jemand überhaupt gläubig ist. Es geht um die Beziehungspflege zwischen Staaten und dem Heiligen Stuhl.

Was viele vergessen: Der Heilige Stuhl ist nicht nur Kirche, sondern auch Ständiger Beobachter bei der UNO und anderen internationalen Organisationen. Welche Rolle spielt der Vatikan weltpolitisch?

Leimgruber: Der Heilige Stuhl ist ein wichtiger internationaler Akteur. Die katholische Kirche verfügt weltweit über ein grosses Netz, das weit über das Schweizer Vertretungsnetz hinausgeht. Der Vatikan ist in anderen Staaten ja nicht nur über seine Nuntiaturen präsent, sondern auch über die Ortskirchen. Und Kirchen gibt es oft in den abgelegensten Orten. Dazu kommen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Dank diesem grossen Netz verfügt die Kirche über einen enormen Informationsschatz. Sie ist nahe bei den Menschen und verfügt so über ein Frühwarnsystem zum Beispiel bezüglich möglicher Unruhen.

Unterschätzt man die politische Seite des Vatikans in der Öffentlichkeit?

Leimgruber: Aus meiner Sicht ja.

Haben Sie in Ihren früheren diplomatischen Tätigkeiten auf die Hilfe der Kirche zurückgegriffen?

Leimgruber: Zuletzt war ich in Kenia und davor in Kolumbien stationiert. An beiden Orten pflegte ich enge Kontakte zu den Kollegen der Nuntiatur. Das war sehr hilfreich, um ein besseres Verständnis von der Lage vor Ort zu erhalten. In Kolumbien haben wir besonders im Rahmen der Friedenbemühungen mit den Ortskirchen zusammengearbeitet.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit konkret vorstellen?

Leimgruber: In Kenia zum Beispiel hat die Botschaft auch mit den religiösen Führern des Landes zusammengearbeitet. Da ging es vor allem darum, Konflikte bei Wahlen zu verhindern.

Die katholische Kirche war auch Teil dieser Plattform. Gerade in Bevölkerungen, die sehr gläubig sind, haben religiöse Autoritätspersonen einen grossen Einfluss auf die Menschen. Ihr Aufruf zum Gewaltverzicht wird oft respektiert!

Jeden Tag scheint ein neuer Brandherd auf der Welt aufzutauchen. In der multipolaren Welt wird die Lage unübersichtlicher, Allianzen brüchiger und Vertrauen ist Mangelwahre. Welche Rolle spielen die «Guten Dienste» des Vatikans künftig?

Leimgruber: Der Heilige Stuhl wird keinem Block zugeordnet und hat eine – ich würde sagen – weltumspannende Sicht. Genau dafür wird er von vielen staatlichen Akteuren respektiert und geschätzt. Das Friedensengagement des Heiligen Stuhls ist breit anerkannt . Auch in jüngster Zeit konnte man sehen, dass seinen Vertretern Türen offenstehen, die anderen verschlossen bleiben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Leimgruber: Der Sondergesandte des Papstes für den Krieg in der Ukraine wurde sogar in China empfangen, von einem Staat also, der nicht einmal diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl unterhält. Der Heilige Stuhl hat seine «Guten Dienste» auch im Nahen Osten angeboten für die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln und für Friedensbemühungen. Am Schluss sind es aber immer die Konfliktparteien, die entscheiden, ob sie «Gute Dienste» in Anspruch nehmen und wem sie solche übertragen möchten.

In der Schweiz leidet die Kirche an chronischem Personalmangel. Dies hat mitunter Auswirkung auf die Professionalität. Verfügt der Zwergstaat Vatikan über das nötige Know-How und Professionalität, die er für sein globalpolitisches Agieren braucht?

Leimgruber: Zur Professionalität in der Schweiz kann ich mich nicht äussern und möchte meine Antwort auch nicht als einen Vergleich zwischen dem Vatikan und der Situation der Kirche in der Schweiz verstanden wissen.

Fair enough…

Leimgruber: Was ich bestätigen kann, ist, dass ich bis jetzt überall im Ausland Kollegen des Heiligen Stuhls vorgefunden habe, welche über einen grossen Informationsschatz verfügen. Auch im Vatikan arbeite ich bestens mit meinen Gesprächspartnern zusammen.

Apropos Treffen im Vatikan, wie war ihr Antrittsbesuch bei Papst Franziskus?

Leimgruber: Das war ein sehr schönes und sehr bewegendes Erlebnis. Eigentlich war meine Einführung für den 11. November geplant, diese wurde aber wegen des Besuchs von Bundespräsidenten Alain Berset spontan auf den 6. November vorverlegt. Umso schöner war es, dass sich der Heilige Vater trotzdem viel Zeit für ein Vieraugengespräch genommen hat. (kath.ch)

*Manuela Leimgruber (52) ist seit 2001 für das EDA tätig. Sie übte Mandate in Israel, Kolumbien, Nairobi und Kenia aus. Am 6. November 2023 überreichte sie Papst Franziskus das Beglaubigungsschreiben zum Dienstantritt als Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Leimgruber ist verheiratet, hat einen Sohn und eine Hündin.