Mehr Diakonie, weniger Klerikalismus: Zwei Waadtländerinnen werben für die Zukunft der Kirche

Bieder, angepasst, farblos: Klischees, die wohl jede Katholikin schon einmal gehört hat. Die Kirchenrealität ist eine andere: Mit Malika Schaeffer und Marie-Antoinette Lorwich schickt das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg zwei Frauen für das Online-Synodentreffen in Prag, die das unter Beweis stellen: Das Instagram-Profil der 31-jährigen Malika Schaeffer (380 Follower) zeigt eine junge Frau mit dunklen langen Haaren und ebenso dunklen Augen, frisch verheiratet, gerne in farbenfrohen Kleidern und Strandkulisse.

Bankkarriere, schöne Autos, geschieden

Das Herz schlägt auch für Tunesien – die Heimat ihres Vaters, wie ihrem Instagram-Profil zu entnehmen ist. Ihren franco-mauritianischen Ehemann Vincent hat sie in Lausanne kennengelernt. Zugegeben: Eine junge Katholikin aus der Waadt stellt man sich nicht immer so vor.

Auch ihre Mitstreiterin Marie-Antoinette Lorwich kann über solche Klischees nur belustigt schmunzeln. Bankkarriere, schöne Autos, geschieden und selbstbestimmt müsste bei ihr an dieser Stelle stehen.

Diakonie muss ins Zentrum

Und so unterschiedlich die beiden Frauen auf den ersten Blick wirken, wird im Gespräch schnell deutlich: Sie haben ein gemeinsames Anliegen. Die Kirche wieder lebendig zu machen. Die Diakonie wieder ins Zentrum kirchlicher Aktivitäten zu rücken.

«Wenn die Kirche die Menschen mit ihrer Botschaft erreichen will, muss sie endlich eine andere Sprache sprechen», sagt Marie-Antoinette Lorwich.

Die Armen einbeziehen

Die Schweizerin weiss, wovon sie redet. Seit über zehn Jahren ist sie in der Gassenarbeit aktiv. Sie spricht mit den Menschen an der Peripherie. Jenen, die Papst Franziskus ganz besonders am Herzen liegen. «Diese Menschen brauchen uns – sie brauchen die Kirche. Und genauso wichtig ist: Die Kirche braucht sie», sagt Marie-Antoinette Lorwich. «Wenn wir es schaffen, die Armen wieder einzubeziehen, dann werden auch die Kirchen wieder voll sein.»

Lorwich wählt jedes Wort sehr überlegt, sagt es dann aber mit Nachdruck. Und voller Unverständnis, warum diese bislang nicht erhört wurden.

Wegen dieses Gefühls, sich nicht verstanden zu fühlen, gab es in ihrem Leben sogar eine lange Zeit ohne Gott. Ihre Kindheit war nicht einfach, erzählt sie, der sizilianische Vater sehr streng, die kleine Schwester früh verstorben. Und sie habe sich oft gefragt, warum Gott ihr nicht helfe. Aus Resignation habe sie ihr erwachsenes Leben daher lange ohne Gott gelebt. «Im Alter zwischen 18 und 36 bin ich nie in die Kirche gegangen.»

Kurz vor ihrer Scheidung habe sie eine Woche im Schweigekloster verbracht: «Ich bin nur aus Versehen bei den Katholiken gelandet.» Aber diese Erfahrung habe ihre Trauer ausgelöscht. Danach wusste sie, dass sie Gott bisher nur nicht richtig verstanden hatte.

Die Sprache der Kirche übersetzen

Auch die Kirche werde oft nicht verstanden, sagt Lorwich. Sie findet, die Kirche müsse anders kommunizieren. Wer jemanden mit seiner Botschaft erreichen wolle, müsse seinem Gegenüber zuerst zuhören und heraushören, was er brauche. Leider würden viele Würdenträger sich noch nicht auf die Sprache der Menschen einlassen, sondern mehr von oben herab mit ihnen sprechen.

«Die Vertreter der Kirche haben es verlernt, die Sprache der Kirche zu übersetzen und so die Botschaft zu den Menschen zu bringen. Papst Franziskus hat das verstanden», sagt Lorwich. «Aber einer alleine reicht nicht.»

Die Sprache sei ein zentrales Problem, bestätigt Malika Schaeffer. Sie ist Social-Media-Beauftragte der katholischen Kirche im Kanton Waadt. In ihrem Studium der Religionswissenschaften an der Universität Lausanne hat sie sich auch mit dem interreligiösen Dialog und mit dem Islam beschäftigt.  »Das andere Problem sind die Themen», sagt die Kommunikationsexpertin.

«Die Kirche beschäftigt sich viel zu sehr mit Fragen des Katechismus und der Liturgie, anstatt sich mit den dringenden Problemen der Menschen zu beschäftigen. Die Diakonie bleibt oft auf der Strecke.» Dabei sollte die Seelsorge im Mittelpunkt stehen oder zumindest gleichwertig sein.

Menschen erwarten Antworten auf ihre Fragen

Auf die Frage, woran das liege, antwortet Schaeffer: «Ich denke, es liegt daran, dass die Kirche sich zu wenig mit den Themen auseinandersetzt, die die Menschen aktuell bewegen. Die Kirche greift diese Themen nicht auf, bezieht dazu zu wenig Stellung.» Dabei erwarteten die Menschen Antworten auf ihre Fragen. Dem stehe auch eine gewisse Arroganz einiger Kleriker im Weg, kritisiert Schaeffer. Ihre entschiedene Gestik zeugt von Wut. Und das Rouge, das sie auf den Wangen trägt, wirkt plötzlich noch eine Nuance röter.

Schaeffer sagt, sie sei den «normalen Weg» gegangen: katholisch getauft, Kommunion, Firmung. Die Die Kirche begleite sie schon ihr ganzes Leben – und sie die Kirche.

Lernen, auf Menschen zuzugehen

Ihre Mitstreiterin Marie-Antoinette Lorwich lächelt verständnisvoll: «Ein Priester fragte mich einmal, ob ich keine Angst vor den Menschen auf der Strasse hätte. Ich entgegnete ihm: Ich habe eine Behinderung – ich sehe sehr schlecht. Ich gehe damit sehr offen um. Ich denke, wenn man sich mit seinen eigenen Schwächen auseinandersetzt, dann hat man weniger Berührungsängste mit anderen.»

Natürlich sei es nicht für jeden leicht, auf Arme und Obdachlose zuzugehen. Aber das könne man lernen. «Auch Theologinnen und Theologen können lernen, ihre Berührungsängste zu überwinden», sagt Lorwich mit der Stimme einer strengen, aber wohlvollenden Lehrerin.

Einsatz für Botschaft der Kirche

Die beiden Frauen haben die massiven Probleme der Kirche glasklar vor Augen. Gerade wegen ihrer schonungslosen Analyse wollen sie weitermachen und für die Kirche werben. Es gelte, für die wunderbare Botschaft der Kirche zu kämpfen, sagen die beiden Frauen. Dafür lohne sich jeder Einsatz.

Auf Französisch, Italienisch und Englisch sprechen Malika Schaeffer und Marie-Antoinette Lorwich in Lausanne über ihre Vision einer Kirche in der Welt von heute. Eine Vision, die sie auch als Online-Delegierte des europäischen Synodentreffens in Prag einbringen wollen. Je nachdem, welche Sprache ihr Gegenüber versteht. Auf jeden Fall ist es die Sprache der Diakonie. Die Sprache des Herzens. (kath.ch)