Monika Schmid: «Wer sind wir, wenn alles wegbricht?»

«If you want your dream to be, take your time go slowly»… Wenn du deinen Traum wahr werden lassen willst, nimm dir Zeit und gehe langsam, so beginnt ein Song im Film «Bruder Sonne, Schwester Mond» von Franco Zeffirelli. Eine verfallene Kapelle, ein junger Mann in graubrauner grober Kutte klopft Steine und passt sie neu in die Wände der Kapelle. Der junge Mann ist Franziskus von Assisi, dessen Gedenktag wir am 4. Oktober feiern.

Nach turbulenten Jugendjahren als reicher Kaufmannsohn gerät er in den kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen den Städten Perugia und Assisi in Gefangenschaft. Er wird krank und erholt sich nur langsam. In dieser Zeit beginnt seine Suche nach einem tieferen Lebenssinn. Die Legende erzählt, dass er auf seiner Suche in die besagte verfallene Kapelle gerät. Darin verweilt er vor einem Kreuz. Die Augen des Gekreuzigten-Auferstandenen Christus schauen ihn an und er vernimmt den Ruf: «Franziskus, baue meine Kirche wieder auf.»

Dieser Geschichte habe ich als Kind fasziniert gelauscht. Wir waren über viele Jahre in Assisi in den Ferien. Jede Ecke in Assisi ist mir vertraut. In der vierten Primarklasse hielt ich einen Vortrag über den Heiligen Franziskus, ganz unverdorben kindlich, in einer Schulklasse im Kanton Zürich, wo wir gerade einmal drei katholische Kinder waren. Ein ganzes Schulheft hatte ich von Hand voll geschrieben. Der letzte Satz: «Franziskus, bau meine Kirche wieder auf.» Nicht im Traum hätte ich damals gedacht, dass ich selber einmal mit Franziskus «Steine klopfen würde für unsere Kirche». Nicht dass ich mich mit Franziskus vergleichen möchte, nein, aber sein Zeugnis für das Evangelium hat mich nie losgelassen.

Er ging in den Fussstapfen Jesu. Bei den Menschen wollte er sein, bei den Kranken, den Ausgegrenzten. Arm wollte er sein, arm mit den Armen. Andere junge Menschen wurden von seiner Lebensweise angezogen und bald musste die neue Bewegung auch in Rom zur Kenntnis genommen werden. Franziskus, der nie einen Orden gründen wollte, muss schweren Herzens eine Ordensregel verfassen und seine Bewegung wird vom Papst anerkannt.

Hat sich die Kirche dadurch wirklich erneuert? Jahre später hatte Papst Innozenz der III. einen Traum. Er sieht die Papstkirche den Lateran einstürzen. Im letzten Moment stellt sich ein kleiner Mann in grober graubrauner Kutte als Säule unter die Kirche und hält sie. Der Papst weiss, worum es geht. Nur noch Menschen wie Franziskus können diese Kirche retten.

Und Franziskus selbst? Er steht am Ende seines Lebens vor einem Scherbenhaufen. Gesundheitlich ist er ein Wrack. Die Ordensleitung wird ihm genommen und er muss zusehen, wie sein Ideal verwässert wird. Alles, was ihn ausgemacht hat zerbricht. Er zieht sich zurück in die Einsamkeit. Und hier unter fürchterlichen Schmerzen, ohne Augenlicht verfasst er eines der schönsten Gebete, das je geschrieben wurde: Laudato si o mi signore…

«Höchster allmächtiger und guter Gott, dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre. Sei gelobt mit allen Geschöpfen…, in tiefer Demut. Amen.».Er ist sich treu geblieben. Und wir heute, als Kirchenleute, stehen vor den Fragen: Wo bist du Gott? Wer bin ich? Wer sind wir, wenn all das was uns ausgemacht hat, wegbricht? (kath.ch)