Konrad Rieder: «Es ist ein anderes Kaliber, wenn Menschen ums Leben kommen»

«Naturgewalten haben in den letzten Stunden schreckliches Leid verursacht», liess Bischof Joseph Maria Bonnemain am Samstag über die Webseite des Bistums Chur wissen. Und weiter: «Lostallo (Sorte) und Zermatt sind furchtbar hart getroffen worden. Bang hoffen wir alle immer noch auf die Rettung der drei verschütteten Personen im Misox.» Dann rief der Bischof zum gemeinsamen Gebet für die Vermissten und ihre Angehörigen auf.

Am frühen Freitagabend war es im bündnerischen Misoxtal südlich des San-Bernardino-Passes wegen eines starken Gewitters mit anhaltenden Niederschlägen zu einem Erdrutsch und in der Folge zu massiven Überschwemmungen gekommen. Der Fluss Moesa und mehrere Bäche traten über die Ufer, fluteten die Strassen und machten diese unpassierbar. In Sorte, einem Ortsteil der Gemeinde Lostallo, wurden drei Häuser samt ihren Bewohnerinnen und Bewohnern von den Fluten mitgerissen. Ein Mann verstarb dabei, eine Frau wurde verletzt geborgen, zwei weitere Personen werden derzeit noch vermisst. Die intensive Suche mit Drohnen, Hunden und Helikoptern dauert an.

Einzigartige Fresken in Gefahr?

Mehrere Dutzend Einwohner mussten aus ihren Häusern evakuiert werden. Sechs Wasserkraftwerke in der Region wurden vorsorglich abgeschaltet. Einige davon seien beschädigt worden, berichtete das Energieunternehmen Axpo am Montag. Auch ein Teilstück der Autobahnzufahrt wurde von den Wassermassen fortgespült. Derweil befinden sich seit dem frühen Freitagabend verschiedene Einsatzkräfte, sowie Bauunternehmungen an den Bergungs- und Aufräumarbeiten.

Auch in Mesocco (Misox), dem Nachbarort von Lostallo, sind die Verwüstungen gross. In der Gemeinde sei zwar niemand verletzt worden, doch die Sachschäden an Strassen, Häusern und Flussbetten seien gross, sagt Fernando Bertossa, Präsident des dortigen Pfarreirates. «Wir führen derzeit Inspektionen der über das Gebiet verstreuten Kirchen durch, die Hauptkirchen weisen nach einer ersten Einschätzung keine Schäden auf», erklärt dieser auf Anfrage von kath.ch.

Im Ort steht auch die katholische Kirche Santa Maria, die aus dem Jahr 1100 stammt und mit einzigartigen Deckenmalereien und Fresken geschmückt ist. Die Kirche liegt unterhalb des Schlosses von Mesocco. Auch hier soll in der Folge geprüft werden, ob das Innere der Kirche Schaden genommen hat.

«Die SUPSI – die Fachhochschule Südschweiz, die auch Renovationen an sakralen Gebäuden vornimmt – wird die Fresken untersuchen. Danach werden wir besprechen, ob die Fresken restauriert werden müssen und wie sich die Finanzierung gestaltet», so Bertossa. Sobald er mehr dazu sagen kann, wolle er sich wieder melden.

Dorf von der Aussenwelt abgeschnitten

Im Wallis hat sich die Lage am Freitag ebenfalls zugespitzt. Die Pegelstände der Rhone, Vispa und kleinerer Zuflüsse zeigten dort bereits Höchstwerte an. In Zermatt kam es zu einer Überschwemmung im Dorf, als der Triftbach und die Vispa über die Ufer traten. Zudem verschüttete ein Erdrutsch die Strasse zwischen Täsch und Zermatt. Mehrere Personen wurden evakuiert, andere dazu angehalten, in ihren Häusern zu bleiben. Der Bahnverkehr von Täsch nach Zermatt war zeitweise unterbrochen und der Ort von der Aussenwelt abgeschnitten.

Ab Samstagmittag dann die Entwarnung – das Wasser ziehe sich zurück. Doch die Wassermengen sind derzeit immer noch sehr hoch und könnten kleinere Murgänge nach sich ziehen. Die Zugstrecke von Täsch nach Visp bleibt noch bis Ende der Woche eingestellt. Mehrere Stellen entlang der Strecke seien unterspült worden, was grössere Instandsetzungsarbeiten nötig macht.

Wie es den Menschen in Zermatt jetzt gehe, fragt kath.ch bei Pfarrer Konrad Rieder nach. «Momentan sind die Aufräumarbeiten in vollem Gang, der entstandene Sachschaden ist beträchtlich. Die Menschen sind ein Stück weit gefasst. Wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, sagen die meisten: ‘Gott sei Dank sind keine Menschen zu Schaden gekommen’.

Angesprochen darauf, inwiefern der Pfarrer nun auch in der seelsorgerlichen Betreuung gefordert sei, sagt Rieder: «Das kommt erst später, in einem zweiten Schritt. Wie es ganz tief in den Betroffenen aussieht, ist gerade schwierig zu sagen. Aber jetzt packen erst einmal alle mit an, damit man weiterkommt».

Altes Pfarrhaus in Zermatt beschädigt

Die Pfarrkirche St. Mauritius habe durch das Unwetter keinen Schaden genommen, dafür sei aber das alte Pfarrhaus in Mitleidenschaft gezogen worden. Konrad Rieder trifft sich gerade heute mit einem Experten für eine erste Bestandesaufnahme vor Ort.

Auch der Bergsteigerfriedhof wurde durch Schutt und Geröll beschädigt. «Der Zivilschutz ist im Moment daran, rund um die beeinträchtigen kirchlichen Gebäude aufzuräumen». Im Dorfkern selbst habe es einige Restaurants und Hotels getroffen, die aufgrund der verursachten Schäden vermutlich die Sommersaison über schliessen müssen.

War das Unwetter ein Thema im Gottesdienst am Wochenende? «Das Evangelium war zum ‘Sturm auf dem See’ und das kam in den Fürbitten vor, war aber kein zentrales Thema. Einfach deshalb, weil das Hochwasser bei uns keine Menschenleben gefordert hat. Mit Sachschaden kann man anders umgehen. Für die, die es trifft, ist es natürlich immer hart, denn dabei gehen auch Dinge verloren, die man nicht mehr ersetzen kann – auch mit Versicherungen nicht. Aber das ist ein ganz anderes Kaliber, als wenn Menschen ums Leben kommen wie im Bündnertal. Das hilft, die Dinge richtig einzuordnen. Es ist schlimm, aber in Zermatt sind wir nochmals mit einem blauen Auge davongekommen», sagt Pfarrer Konrad Rieder. (kath.ch)