„Wenn alles so bleibt, wie es ist, entschwindet die Gabe Gottes, sie wird unter der Asche der Ängste und der Sorge erstickt, den Status quo zu verteidigen."

Der ganze Wortlaut der Predigt: www.vaticannews.va 

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Papst eröffnet Amazonas-Synode mit Appell zu Reformen

Im Vatikan ist am Sonntag mit einem Festgottesdienst die Amazonas-Synode eröffnet worden. Drei Wochen lang wollen Bischöfe aus Südamerika gemeinsam mit Ordensleuten, Vertretern von Indigenen und Experten über Reformen des kirchlichen Lebens, aber auch über ökologische und soziale Folgen des Raubbaus in der ressourcenreichen Region beraten.

Das Treffen steht unter dem Motto «Amazonien – neue Wege für
die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie».

Papst Franziskus rief die Bischöfe zum Beschreiten neuer
Wege auf. Wenn alles so bleibe wie bisher, werde die Berufung der Kirche «unter
der Asche der Ängste und der Sorge erstickt, den Status quo zu verteidigen».

Die Kirche dürfe sich nicht auf die Erhaltung des
Bestehenden beschränken, zitierte der Papst seinen Vorgänger Benedikt XVI.
Wörtlich sagte Franziskus: «Jesus ist nicht gekommen, die Abendbrise, sondern
das Feuer auf die Erde zu bringen.»

Befreiender Trost des Evangeliums

Viele Menschen im Amazonasgebiet trügen schweres Leid und
hofften auf den «befreienden Trost des Evangeliums», so der Papst. «Für sie,
die jetzt ihr Leben opfern, für jene, die ihr Leben hingegeben haben, mit ihnen
gehen wir gemeinsam».

Zugleich bekannte Franziskus Verfehlungen bei der
Missionierung Südamerikas. Oft sei «die Gabe Gottes nicht angeboten, sondern
aufgezwängt worden». Vielfach habe es «Kolonisierung statt Evangelisierung
gegeben».

Mit Blick auf die Gegenwart wandte sich Franziskus gegen die
«Gier neuer Kolonialismen». Das von «zerstörerischen Interessen gelegte Feuer»
im Amazonasgebiet sei «nicht das aus dem Evangelium».

Indigene Traditionen

Innerkirchlich wird es bei der Synode auch um eine Öffnung
gegenüber indigenen Traditionen und um neue Formen der Gemeindeleitung in den
schwer zugänglichen Gebieten gehen. Dabei steht auch eine Übertragung
priesterlicher Aufgaben an Familienväter und neue Ämter für Frauen zur Debatte.
Konservative Katholiken befürchten davon eine Preisgabe zentraler
Glaubensinhalte.

Franziskus appellierte in seiner Predigt an die Bischöfe,
sich «in Feinfühligkeit für die Neuheit des Geistes zu entscheiden». Es gehe um
«das Gegenteil davon, die Dinge laufen zu lassen».

Die inhaltlichen Beratungen beginnen Montag. Unter den mehr als 280 Teilnehmern sind auch Vertreter internationaler Organisationen, Menschenrechtler und Wissenschaftler wie der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Das Stimmrecht für das Schlussdokument liegt allerdings nur bei den 185 sogenannten Synodenvätern, überwiegend Bischöfe. (cic)

Franziskus schwört die Amazonas-Synode auf Veränderungen ein

Mit einem Plädoyer an die Bischöfe hat Papst Franziskus am Sonntag die Sondersynode für das Amazonasgebiet eröffnet. Drei Wochen lang beraten die Hirten aus Südamerika gemeinsam mit Ordensleuten, Indigenen-Vertretern und Experten über Reformen des kirchlichen Lebens, aber auch über Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in der ressourcenreichen Region.

Burkhard Jürgens

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und andere Verfechter
industrieller Interessen betrachten das Treffen als Einmischung, kircheninterne
Kritiker fürchten eine Preisgabe von Glaubensinhalten.

Bei der Eröffnungsmesse im Petersdom machte der Papst
deutlich, dass er Veränderungen erwartet. Wenn alles so bleibe wie bisher,
werde die eigentliche Berufung der Kirche «unter der Asche der Ängste und der
Sorge erstickt, den Status quo zu verteidigen».

Die Kirche dürfe sich «keinesfalls auf eine Pastoral der
Aufrechterhaltung beschränken» – ein Zitat Benedikts XVI., das wohl Kritikern
des amtierenden Papstes ein wenig Wind aus den Segeln nehmen sollte. Franziskus
wörtlich: «Jesus ist nicht gekommen, die Abendbrise, sondern das Feuer auf die
Erde zu bringen.»

Ganzheitliche Ökologie

Die Dringlichkeit der Anliegen, denen sich die Synode widmen
will, wird aus dem zweiten und zentralen Teil ihres Arbeitsdokuments deutlich.
Unter dem Titel «Ganzheitliche Ökologie: Der Schrei der Erde und der Armen»
geht es um Themen wie Raubbau durch Grosskonzerne, die Bedrohung indigener
Völker, Neokolonialismus und Zwangsmigration.

Indigenen-Vertreter wie Adriano Karipuna erwarten Rückhalt
von der katholischen Kirche. Im Vorfeld der Synode beklagte der junge
Stammeschef eine systematische Missachtung der Mitbestimmungsrechte und den
Entzug der Lebensgrundlage von Indigenen durch Brandrodung, vergiftete Flüsse,
Landraub.

Der Grossteil der Exporte von Rohstoffen, aber auch von Soja
und Rindfleisch im brasilianischen Amazonasgebiet, geschehe «unter Ausbeutung
der Völker, die dort leben». Widerstand hat seinen Preis: «Viele Häuptlinge
wurden schon getötet», so Karipuna.

Impulse aus der Befreiungstheologie

Franziskus hatte am Sonntag etliche Diplomaten der
Amazonas-Staaten vor sich im Petersdom, als er erklärte, dass er den Platz der
Kirche an der Seite der Armen sieht. Viele Menschen im Amazonasgebiet trügen
schwere Kreuze und hofften auf den «befreienden Trost des Evangeliums». Mit
jenen, «die jetzt ihr Leben opfern», wolle die Kirche gemeinsam gehen.

Angesichts solcher sozialen Akzente sehen manche die
Befreiungstheologie wiedererstehen. Tatsächlich nimmt das Synodenprogramm entsprechende
Fäden wieder auf, nicht zuletzt mit der «Option für die Armen». Der
Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Michael Heinz,
rechnet mit einer kontroversen Debatte. Unter den lateinamerikanischen
Bischöfen seien die Ansichten ebenso verschieden wie in Europa, sagte er im
Vorfeld; konservative Kräfte würden während der Synode «bremsen».

Alternative Formen von Gemeindeleitung

Besonders heikel wird die Frage sein, wie die Kirche in
Amazonien den vom Papst gewünschten «missionarischen Schwung» entfalten kann.
Zur Debatte stehen alternative Formen von Gemeindeleitung in den oft entlegenen
Gebieten, eine Übertragung priesterlicher Aufgaben an Familienväter und neue
Ämter für Frauen. Für konservative Katholiken ein rotes Tuch.

Auf ähnliche Skepsis stösst auch die Öffnung gegenüber
indigenen Traditionen. In seiner Predigt bekannte der Papst Verfehlungen
früherer Missionsmodelle: Oft sei die Frohe Botschaft «nicht angeboten, sondern
aufgezwängt worden». Am Freitag nahm er an einem Schöpfungsgebet mit indigenen
Riten und Gesängen lateinamerikanischer Katholiken in den vatikanischen Gärten
teil; europäische Glaubensbrüder wittern darin einen Einbruch des Heidnischen
in die Kirche.

Im Eröffnungsgottesdienst, der zu Teilen auf Latein und ohne
wesentliche Präsenz von Indigenen stattfand, appellierte Franziskus an die
Bischöfe, sich «in Feinfühligkeit für die Neuheit des Geistes zu entscheiden»;
die Gottesdienstgemeinde rief die Heiligen um Beistand an. Unterdessen
veranstalteten ultrakonservative Katholiken um Kardinal Raymond Leo Burke einen
«Gebetskreuzzug», um die Synode von Häresien abzuhalten. Gebet gegen Gebet.
(cic)